Teil 7.0 - Der Tatort Wendlingen im Prozess

Autoren: Rüdiger Rohde & Oliver Twardon

Wir möchten in diesem Kapitel versuchen, den Tatort Wendlingen mit jenen Aussagen zu erhellen, welche während des Verfahrens gegen Jörg Kretschmer vor Gericht getätigt worden sind.

Es soll dabei weitgehend vermieden werden, alle einzelnen Aspekte erneut zu behandeln und gegenüber zu stellen. Das hat natürlich eine Reihe von Auslassungen zur Folge, die in den Wendlingen-Kapiteln, Teil 2 ff, gelesen und auch geprüft werden können, einschließlich der Publikation von Schattauer in Teil 6.0 ff. Doch sind einige Wiederholungen unvermeidbar, um Zusammenhänge sichtbar zu machen.


Die Episode mit Igor Wolf und dem Kontrollpunkt der Polizei.


KOK Neumann, der polizeiliche Ermittlungsführer für die Verbrechen in Winnenden und Wendlingen, berichtete am 2. Prozesstag (21.09.2010) dem Gericht.

Im Rahmen der überregionalen Fahndung habe die PD Esslingen eine Kontrollstelle an der Auffahrt der Bundesautobahn 8 in Richtung Karlsruhe bei Wendlingen eingerichtet.

Kurz nach 12 Uhr wäre von dort von einer Geiselnahme berichtet worden. Ein Autofahrer sei aus einem rollenden Fahrzeug geflüchtet.

Wir wissen nicht, wie diese überregionale Fahndung ausgesehen haben soll, und Kontrollpunkte richtet die Polizei auch an anderen Tagen ein. Wir wissen nur, dass es eine sehr unauffällige Fahndung gewesen sein muss, bei welcher die Öffentlichkeit nicht einbezogen – und auch nicht gewarnt wurde. (Abgesehen von einigen speziellen Einrichtungen).

Obwohl die Polizei bereits ab 10.06 Uhr Tim Kretschmer verdächtigt haben soll und vor dessen Elternhaus in Weiler am Stein ganz schnell ab 10.15 Uhr ein Polizeiaufgebot aufgezogen war, wurde die (übrige) Polizei mit einer falschen Beschreibung des vermeintlichen Täters versorgt. Diese wurde bis zum Schluss nicht korrigiert.

Bei dem Mann, der aus einem rollenden Fahrzeug geflüchtet sein soll, handelt es sich um Igor Wolf.

Wolf schilderte seine Ankunft während des 18. Prozesstages (30.11.2010) bei der besagten Kontrollstelle folgendermaßen:

„Dann bei Polizei ich habe mit Hände auf Wagen. Die haben gefragt, was los ist. Ich nur gesagt: Waiblingen! Waiblingen! Weiß nicht wieso. Die haben gefragt: Was ist mit Waiblingen? Ich Luft geholt und dann gesagt: Amoklauf als Geiselfahrer genommen… Die wollten meinen Personalausweis sehen. Dann die haben weiter alarmiert.“

Die Polizisten an diesem Kontrollpunkt hatten ihre Einsatzzentrale informiert. KHK Lottmann, der Ermittlungsführer zum Tatkomplex Wendlingen, sagte am 7. Prozesstag (7.10.2010) dazu, dass nach 12.00 Uhr bekannt geworden sei, dass sich der Täter im IG Wert befinden sollte, woraufhin sofort Kräfte nach Wendlingen in Marsch gesetzt worden wären. Er erzählte auch, dass die benachbarten Kreise und auch Waiblingen eine erste Lage-Info erhalten hätten, kurz nachdem sich Igor Wolf bei der Streife gemeldet habe. Der Täter sei nun in Wendlingen, habe es geheißen.

KHK Lottmann sagte aber auch, dass die Identität des Täters erst eine Stunde später fest gestanden hätte – als alles vorbei gewesen war.

Dies ist nicht unbedingt ein Widerspruch, da es sich – objektiv – zuvor um eine mehr oder minder starke Vermutung gehandelt haben könnte, der Beweis aber erst mit der Leiche des Tim Kretschmer erfolgte.

Das Problem befindet sich an anderer Stelle. Es handelt sich hierbei um eine gewisse Diskrepanz innerhalb der polizeilichen Angaben, die einerseits von der Ankunft des Igor Wolf und der weiteren Flucht des Verdächtigen berichten, andererseits aber auch von den vor Ort befindlichen Polizeikräften, welche etwas mangelhaft informiert gewesen sein sollen. Eine falsche Täterbeschreibung sogar noch zu diesen späten Zeitpunkt soll ein Mangel gewesen sein. Der angeblich überlastete Funkverkehr ein anderer.

Rechtsanwalt Sikic fragte hier nach.

RA Sikic:

„Sind die Beamten denn davon ausgegangen, dass es sich auch um den Amokläufer von Winnenden handeln könnte?“

(Gemeint war hier der Verdächtige, der wenig später vor dem Autohaus Hahn lokalisiert worden sei).

KHK Lottmann:

„Nein. Nur sein unschlüssiges Verhalten machte ihn verdächtig.“

RA Sikic:

„Hatten die Beamten nicht über Funk erfahren, dass der aus Winnenden geflüchtete Täter sich nun hier aufhalten soll?“

Lottmann:

„Doch, jedoch sind die Beamten nicht davon ausgegangen, dass es sich bei der beobachteten Person um den Täter handeln könnte.“

Sikic:

„Gab es keine Personenbeschreibung?“

Lottmann:

„Wir hatten nur eine Beschreibung aus Winnenden, die sich jedoch später als nicht zutreffend herausstellte: Camouflagehose, das Alter und die Statur.“

Das war sie wieder: die falsche Täterbeschreibung, an der so gut wie nichts richtig zu sein schien, obwohl die Polizei zu diesem Zeitpunkt schon lange alles in ihren Händen gehalten hatte. Stattdessen eine Täterbeschreibung, die in keiner Weise mit der Person Tim Kretschmer deckungsgleich zu bringen war.

Und dann gab es zwei Polizisten, die angeblich irgendeinen Verdächtigen mal eben zu „kontrollieren“ gedachten, obwohl sie den Auftrag gehabt haben sollen, einen anderen, einen Massenmörder, ausfindig zu machen und zu stellen.

Einen negativen Beitrag soll auch die Polizeistreife am Kontrollpunkt geleistet haben. Hier fragte die Verteidigung nach.

RA Steffan:

„Als der Igor Wolf in Wendlingen festgestellt wurde, hat die Polizei ihn nicht nach der Bekleidung und Täterbeschreibung gefragt und wurde das nicht weitergegeben?“

Er bekam folgendes durch KHK Lottmann zur Antwort:

„Zunächst musste man ja herausfinden, was passiert war. Schwierig war dabei ja auch, dass der Herr Wolf sehr schlecht deutsch spricht. Er sei ja auch sehr durcheinander gewesen. Inzwischen war der Täter ja unterwegs.

Dann kam ein weiterer Zeuge zur Streife und berichtete von einem Fahrzeug auf der Wiese. Erst da war klar, dass der Täter zu Fuß unterwegs war.

Eine Befragung nach der Kleidung war nicht möglich, man musste sich erst aus dem Gefahrenbereich begeben und ist mit dem Herrn Wolf ein Stück zurückgefahren, zu einer Hütte, einem Salzlager, das dort Schutz bot. Es bestand ja die Gefahr, dass der Täter die Auffahrt runter kommt.

Dies konnte nicht weitergegeben werden, da der Funkverkehr gestört war.“

KHK Lottmann hatte hier vor dem Gericht so einiges erzählt.

Die erste Frage eines jeden Fahnders, die Frage nach der Täterbeschreibung, sollen die Polizisten nicht gestellt haben. Das allein ist unglaublich. Dann soll auch noch Igor Wolf daran Schuld gewesen sein, weil er so schlecht deutsch sprechen würde. Wolf spricht aber recht gut die deutsche Sprache, auch im TV. Und verantwortlich für die nicht gestellten Fragen ist er nicht.

Und nicht zu vergessen die ganze Aufregung und Hektik, so dass die Polizisten nicht nur die richtigen Fragen vergessen haben sollen, sondern sogar die Verfolgung des Verdächtigen. An Personalmangel kann es nicht gelegen haben, denn Igor Wolf berichtete, dass bereits kurz darauf ein zweiter Streifenwagen eingetroffen sei.

Igor Wolf:

„Dann kam noch ein Streifenwagen. Die haben das Auto vor uns gestellt.“

Peinlich. Es scheint sich um eine ganze Kette von Polizeipannen gehandelt zu haben. Der Zeuge Wolf, der hier nicht als Zeuge in Anspruch genommen worden war, erhielt massiven Polizeischutz.

Es wurde sogar noch peinlicher bzw. unglaubwürdiger. Rechtsanwalt Steffan präsentierte dem Gericht und dem KHK Lottmann ein Funkprotokoll vom 11.3.2009, abgegeben von der Streife Dora 3/303 von der genannten Kontrollstelle:

„Hier ist gerade ein Autofahrer angekommen, der behauptet, er sei von einem Kretschmer in Winnenden entführt worden. Der Täter sei jetzt in seinem Fahrzeug unterwegs…“

KHK Lottmann saß nun böse in der Klemme und versuchte sich mit folgender Erwiderung zu retten.

Lottmann:

„Mittlerweile war ein Zeuge aufgelaufen, der das Fahrzeug hat stehen sehen. Der Funkspruch war der erste, als man noch davon ausging, dass der Täter mit dem Fahrzeug unterwegs war. Später war eine Kommunikation kaum mehr möglich.“

Davon einmal abgesehen, dass sich das Fahrzeug von Igor Wolf aufwärts der Autobahnauffahrt befand, muss die Polizei viel Glück gehabt haben. Denn trotz der angeblich gleich anschließend kaum mehr möglichen Funk-Kommunikation konnte die Information, dass sich der Verdächtige im IG Wert befinden würde, transportiert werden.

Die immer wiederkehrende Problematik mit dem gestörten Funkverkehr und die Frage nach dem Warum, wurde bereits in den Wendlingen-Kapiteln erörtert. In der Publikation von Schattauer wird (unbeabsichtigt) besonders deutlich, wie die Kommunikation einerseits immer wieder nicht funktioniert haben soll, an anderer Stelle aber doch. Bemerkenswert ist hierbei auch, dass die Polizei pauschal auf diese Überlastungen verwies, aber wenig konkret.

Wenn Lottmann behauptet, dass die Kommunikation kaum mehr möglich gewesen sei, beinhaltet es auch, dass sie nicht unmöglich gewesen sein kann. Die Frage ist nur: was wurde wann von wem durchgegeben?

Entscheidend ist aber die Tatsache, dass die Beamten der Kontrollstelle den Namen des Täters sowie die Stadt Winnenden durchgegeben hatten. Die Angelegenheit sollte demnach ganz klar gewesen sein. Der Name „Kretschmer“ verschwand allerdings anschließend auf ominöse Weise.

Igor Wolf hatte das Verschwinden dieses Namens übrigens unterstützt. In einem Interview und bei seinem TV-Auftritt hatte er behauptet, den Namen Kretschmer nie von seinem angeblichen Entführer erfahren zu haben.

Und wie war das mit dem Fahrzeug, dem VW Sharan, auf der Wiese gewesen?

KOK Neumann hatte am 2. Prozesstag berichtet, dass dieses Fahrzeug mit eingegrabenen Rädern aufgefunden wurde. Lottmann wiederum hatte von dem Zeugen erzählt, welcher zur Streife gekommen sei und von dem Fahrzeug auf der Wiese berichtet habe.

Dazu die Schilderung des Igor Wolf am 18. Prozesstag:

„Ich weiß nicht wann, aber aus der Richtung ist dann ein Mann gekommen. Der hat gesagt: Da hinten steht ein Auto, der Motor läuft und die Räder drehen sich.“

Das ist eine schöne Geschichte, es ist auch eine neue Geschichte, die nun erklären sollte, warum in einem SPIEGEL-TV-Beitrag eigenartigerweise eben dieses Fahrzeug mit der vorderen eingegrabenen Antriebsachse zu sehen gewesen war. Neu ist hier auch, dass der Sharan ganz ohne Fahrer „gefahren“ sein soll.

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Dieses Märchen wird auch nicht durch den Hinweis glaubwürdiger, dass noch der Zündschlüssel gesteckt haben soll. Stattdessen lässt es eine weitere Frage zu: warum soll der Entführer nicht das Fahrzeug genommen haben? Tim Kretschmer besaß einen Führerschein.

Hat sich in dem Fahrzeug von Igor Wolf jemals ein Entführer oder überhaupt eine weitere Person befunden?

Wir haben unsere Zweifel.

Bislang hat es in der Darstellung der Behörden eine Lücke bezüglich der Anwesenheit eines „Täters“ bzw. „Entführers“ gegeben. Diese Lücke wurde vor Gericht von der Polizei nun geschlossen.

KHK Lottmann schilderte die bislang unbekannte Geschichte von einem Zeugen, der damals mit einem Abschleppwagen die Auffahrt zur A8 hinaufgefahren sein soll. Dieser Zeuge habe beobachtet, wie eine Person zuerst in Richtung Polizeiwagen (!) gelaufen sei, dann aber die Richtung gewechselt und versucht haben soll, den Abschleppwagen anzuhalten. Kurz darauf wäre die Person gestürzt. Nach Lottmann soll es sich dabei um den „Täter“ gehandelt haben.

Der Name dieses Zeugen wurde übrigens nicht genannt.

Wie auch eine Reihe anderer Zeugen der Polizei anonym blieb – auch vor Gericht. Es handelt sich dabei durchwegs um „Zeugen“, die Wesentliches beobachtet haben sollen und welche jene Lücken in der Polizeiversion schließen sollen, innerhalb welcher es an Beweisen mangelt.

Lottmann führte außerdem einen namentlich nicht genannten Mitarbeiter der Firma „Container-Hermann“ an, der den Täter über das Firmengelände laufen gesehen haben will.

Uns gegenüber konnte dies von einem Mitarbeiter dieser Firma nicht bestätigt werden.


Situation Wertstraße I.


Der Beamte KOK Neumann (2. Prozesstag, 21.9.2010) berichtete, dass gegen 12.12 Uhr (am 11.3.2009) die Polizeistreife PHK Rehm und PHK Schäfer einen/den Verdächtigen vor dem Haupteingang des Autohauses Hahn entdeckt habe, auf den die Täterbeschreibung zutraf.

Also vor dem Haupteingang. Eine Täterbeschreibung hat es aber nicht gegeben, jedenfalls keine zutreffende. Somit ist dieser Teil der Darstellung bereits falsch.

KHK Gundram Lottmann von der PD Esslingen konnte am 7. Prozesstag (7.10.2010) als Ermittlungsführer und Sachbearbeiter für den Tatkomplex Wendlingen genauere Auskunft geben.

Seinen Angaben nach soll die Polizeistreife Rehm und Schäfer gerade die Wertstraße entlang gefahren sein, um etwa 100 Meter vor dem Autohaus Hahn nach links in eine Einmündung einzubiegen. Hierbei wäre dem PHK Rehm auf der Höhe des Autohauses ein Vermessungsarbeiter mit Warnweste sowie dahinter eine andere Person aufgefallen, welche hervorgeschaut, sich dann aber hinter dem Vermessungstechniker versteckt habe. Dies sei verdächtig gewesen, weswegen sich die Polizisten entschlossen hätten, diese Person zu kontrollieren.

Der Streifenwagen wurde daher nach dem Abbiegevorgang gewendet, zurückgesetzt und an der Ecke des „Luxor“ abgestellt.

Es wurde somit durch KHK Lottmann erklärt, wie der Streifenwagen in eine Position gekommen sein soll, die eher den Eindruck vermittelt hatte, als wäre er bereits zuvor positioniert gewesen.

Das heißt natürlich nicht, dass diese Angabe von Lottmann auch tatsächlich der Richtigkeit entspricht.(Die Indizien deuten auf das Gegenteil hin).

Vorerst viel interessanter ist die Neuigkeit, dass sich der vermeintliche Täter hinter bzw. neben einer weiteren Person befunden haben soll: einem Vermessungstechniker.

Dieser Vermessungstechniker wurde bislang nie erwähnt, was erstaunt, weil dieser Mann ein unmittelbarer Zeuge des vermeintlichen Täters und des nachfolgenden Geschehens gewesen sein muss. Diese Person scheint aber nirgendwo auf, nicht einmal indirekt, da für den Ablauf in der Wertstraße ausschließlich PHK Rehm der Polizei als „Zeuge“ gedient hatte.

Wir wissen nicht, ob es diesen Vermessungstechniker jemals gegeben hat. Und wenn doch, ob es tatsächlich auch einer gewesen war. Sollte es sich um einen Zeugen gehandelt haben, so verschwand dieser aus der Polizeigeschichte vollständig. Das allein sollte misstrauisch machen.

Doch lässt sich auch eine wertfreie Feststellung treffen: der vermeintliche Täter befand sich nicht alleine vor dem Autohaus! Somit ließe sich auch nicht ausschließen, dass es einen Komplizen gegeben haben könnte. Es hätte überprüft werden müssen.

Ob nun Zeuge oder Komplize oder eine Lüge, dieser angebliche Vermessungstechniker tauchte auch in den Ausführungen des KHK Lottmann nicht mehr auf. Er verschwand so überraschend, wie er gekommen war.

Laut KOK Neumann wurden die beiden Polizisten, PHK Rehm und PHK Schäfer, sofort von dem Täter beschossen, als sie gerade ihr Fahrzeug verlassen wollten. Schäfer soll sich hinter einem Busch (!) bei einer Hausecke (die vom „Luxor„) in Sicherheit gebracht haben. KHK Lottmann reduzierte den Verbleib des PHK Schäfer darauf, dass dieser links in Deckung gegangen sei.

Direkt am Polizeifahrzeug befand sich keine Hausecke. Dazu hätte Schäfer entlang einer Hecke erst die Distanz des Vorgartens zurücklegen müssen. Neumann wie Lottmann vermieden es, hier von einer Flucht des PHK Schäfer zu reden, obwohl es genau das gewesen sein musste.

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Gravierend an dieser Schilderung ist, dass hier kein Grünschnabel, sondern ein erfahrener Polizist geflohen sein soll. Der noch dazu im weiteren Verlauf der angeblichen Ereignisse seinen Kollegen Rehm ganz erbärmlich in Stich gelassen haben müsste. Schäfer hätte sich auch ganz einfach zu Boden werfen können, dann wäre er durch den Streifenwagen und die angrenzende niedrige Umfassungsmauer sofort gedeckt gewesen.

Ausgerechnet das soll er nicht gemacht haben.

An anderer Stelle erklärte Lottmann auf Anfrage dem Rechtsanwalt Franz, dass sich PHK Schäfer hinter dem Gebäude befunden habe. Und zwar so sehr hinter dem Gebäude, dass Schäfer absolut nichts von den folgenden Ereignissen beobachtet haben soll.

Er soll demnach nicht einmal aus purer Neugierde heraus einen Blick riskiert haben, nein, gar nichts. Man möchte annehmen, dass dieser Polizist sitzend und wimmernd an der Hauswand gelehnt haben muss.

Fakt ist, dass PHK Schäfer vollständig aus dem Geschehen herausgenommen wurde, was auch in den Aussagen der Polizisten vor Gericht nicht anders war.

Das hat seinen guten Grund, wie bereits in unserer Wendlingen-Abhandlung geschildert worden war. Diese hat nach wie vor Bestand.

KHK Lottmann behauptete, dass der Täter, der sofort geschossen haben soll, gleichzeitig die Straßenseite gewechselt habe. Er nannte keine Anzahl der Schüsse.

Er gab vor Gericht somit eine Situation wieder, wie sie 2009 von der Polizei monatelang dargestellt worden war. Als „Beweis“ hatte hier das Loch im Kennzeichen des Streifenwagens als Resultat dieses einzelnen Schusses gedient. Dann hatte man allerdings die Passage mit der angeblichen Straßenüberquerung klammheimlich aus der Pressemitteilung entfernt.

Vielleicht hatte die Polizei festgestellt, dass die Hülse zu diesem Schuss fehlte, vielleicht war ihr aber spät auch nur aufgefallen, was für eine schwachsinnige Geschichte sie verzapft hatte.

Ausgehend von der von uns grundsätzlich angezweifelten Ausgangssituation hätte ein Täter keine einzige Motivation besessen, die Straßenseite zu wechseln. Denn gegenüber hatte es nichts gegeben, nur ein leerer Gehweg ohne Deckung mit einem Zaun dahinter.

Genau das gab KHK Lottmann vor Gericht nun abermals wieder. Er behauptete, dass der vermeintliche Täter nicht nur nicht geflohen sei, sondern sich auch noch absichtlich in eine blanke wie aussichtslose Position begeben haben soll, um von dort aus ein Feuergefecht mit zwei bewaffneten und gedeckten Polizisten zu beginnen.

Irgendein Vorgesetzter muss diese Idiotie im Herbst 2009 mit der Streichung dieser Passage in der ersten Pressemitteilung getilgt haben, woraufhin der vermeintliche Täter quasi als 3. Polizeivariation der Ereignisse von Anfang an auf dem gegenüberliegenden Gehweg platziert worden war.

KHK Lottmann, offenbar noch nicht aktualisiert, schilderte somit jene Version, die ursprünglich von der Polizei und Staatsanwaltschaft am 4. April 2009 veröffentlicht worden war.

Auch vor Gericht blieb in den Schilderungen der Polizei somit nur PHK Rehm übrig, der als Beifahrer hinter seinem Streifenwagen in Deckung gegangen sein soll. Er hatte nun angeblich mit dem vermeintlichen Täter alleine fertig werden müssen.

KHK Lottmann gab die Entfernung der Polizisten zum Täter mit etwa 50-70 m in Richtung Autohaus Hahn an, berichtete aber nicht, was dieser nach seiner angeblichen Straßenüberquerung überhaupt gemacht haben soll.

Der Beamte Neumann dagegen behauptete, dass der Täter auf der gegenüberliegenden Straßenseite nun von einem am Fahrbahnrand abgestellten LKW-Anhänger auf die Beamten geschossen haben soll.

Neumann hatte somit die unglaubwürdige und nirgends belegte Geschichte mit der Straßenüberquerung konsequent weitergeführt, dazu um einen weiteren extrem unglaubwürdigen Aspekt erweitert und somit eine ganz neue Variation des Tatablaufs eingeführt. Selbstredend war die Darstellung der Behörden zuvor immer eine andere gewesen.

Der von Neumann erwähnte Anhänger befand sich nämlich nicht gegenüber dem Autohauses Hahn, sondern schräg gegenüber dem „Luxor“ und somit in der Nähe der Polizisten Rehm und Schäfer. Neumann erklärte somit, dass der Verdächtige nicht nur die Straßenseite gewechselt hatte, um sich wie auf einem Präsentierteller zu zeigen, nein, er soll nun sogar auf die Polizisten zugelaufen sein, rund 40 deckungslose Meter, und diese angegriffen haben!

Aber auch nur, um anschließend wieder wegzulaufen, während der PHK Rehm wie gelähmt gewesen sein müsste.

Wenn man dieser Geschichte Glauben schenken würde.

Die ist aber von vorne bis hinten gelogen.

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Das Heck des Anhängers befand sich beim Verkehrszeichen Parkverbot.

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Die Straße von der anderen Seite. Der Anhänger befand sich weit oben am linken Fahrbahnrand. Ansonsten war diese Gehwegseite vollkommen deckungslos gewesen, so wie hier (an einem späteren Tag) abgebildet.

Bei dem Anhänger wurden von der Spurensicherung drei Hülsen gesichert. Zwei Hülsen (Spuren 11 und 12) befanden sich auf dem Gehweg, die dritte (Spur 13) dagegen unter dem Anhänger.

In der Wendlingen-Abhandlung hatten wir feststellen können, dass diese drei Hülsen dem PHK Rehm zuzuordnen sind. Und dies nicht nur anhand der fehlenden Schusswirkung.

Die Erklärung, warum die Polizei ihre exklusive Schilderung der Ereignisse abermals verändert und den Verdächtigen plötzlich zum Hänger platziert hatte, ist möglicherweise beim LKA zu suchen. Deren Beamtin Frau Peterhans hatte während des 5. Prozesstages (30.9.2010) im Zuge ihrer 3D-Rekonstruktion (ohne 3D) und sonstigen Berechnungen (ohne Inhalte) in einer Skizze den Täter ebenfalls beim dem Anhänger platziert. Allerdings kombinierte sie diesen falschen Sachverhalt mit der Aussage, dass von dort aus, aus diesem Winkel, der Schuss gefallen sein soll, welcher das Kennzeichen des Streifenwagens durchschlagen habe.

So ist es deutlich, dass nach der neuen Polizeidarstellung der Täter von der Rückseite des Anhängers aus geschossen haben soll und er nun dorthin verlegt werden musste. Es würde ansonsten nur noch PHK Rehm in Betracht kommen – und das darf natürlich nicht sein.

Somit hat die Frau Peterhans vom LKA einen entscheidenden Hinweis geliefert, dass es PHK Rehm selbst gewesen sein könnte, welcher das eigene Fahrzeug beschossen hatte. Vorausgesetzt natürlich, dass ihre Angabe richtig gewesen ist.

Nebenbei macht es auch deutlich, was die Angaben bezüglich Tätermunition und Polizeimunition sowie deren Projektile wert sind. Obwohl natürlich alles eindeutig feststellbar ist, handelt es sich in diesem Fall nur um unbekannte Variablen, die je nach Bedarf umgeändert und immer wieder neu und anders verwendet werden.


Polizeiversion Nr.1 vom Beginn des Tathergangs in der Wertstraße im IG Wert/Wendlingen.

„Gültig“ vom 12. März bis zum 3. April 2009.

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Der angebliche Täter, hier als Verdächtiger bezeichnet, soll nach dem Doppelmord im Autohaus Hahn vor die Tür getreten sein und auf die herannahenden Polizeikräfte geschossen haben.

Das Polizisten-Duo PHK Rehm und PHK Schäfer hatte hier genauso wenig eine Rolle gespielt wie das Szenario auf der Straße.

Hier die zugehörige Pressemitteilung.


Polizeiversion Nr.2 vom Beginn des Tathergangs in der Wertstraße im IG Wert/Wendlingen.

„Gültig“ ab dem 4. April bis Herbst 2009.

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Nach dieser Version hatte sich der Doppelmord im Autohaus noch nicht ereignet. Der Verdächtige soll nun vor dem Autohaus herumgestanden sein.

Nach Entdeckung der Polizisten PHK Rehm und PHK Schäfer soll der Verdächtige sofort auf diese geschossen und gleichzeitig die Straße überquert haben, um auf dem gegenüberliegenden Gehweg deckungslos vor einem Zaun zu stehen. Von dort aus soll er das Feuergefecht mit den Polizisten aufgenommen haben, soll aber bereits Sekunden später von PHK Rehm zweifach angeschossen worden sein.

Hier die zugehörige Pressemitteilung.


Polizeiversion Nr.3 vom Beginn des Tathergangs in der Wertstraße im IG Wert/Wendlingen.

Herbst 2009 bis 9. März 2010.

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Durch die heimliche Streichung der angeblichen Straßenüberquerung des Verdächtigen innerhalb der Pressemitteilung der Polizei und Staatsanwaltschaft soll sich dieser von Anfang an gegenüber des Autohauses auf dem Gehweg befunden haben. Von dort aus soll er auf die Polizisten geschossen haben, um kurz darauf von PHK Rehm schwer verletzt zu werden.


Polizeiversion Nr.4 vom Beginn des Tathergangs in der Wertstraße im IG Wert/Wendlingen.

Ab dem 9. März 2010.

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In dieser Version soll sich der Verdächtige von Anfang an gegenüber dem Autohaus auf dem Gehweg am Maschendrahtzaun befunden haben. Doch habe dieser die Schüsse auf die Polizisten von der Ecke des am Straßenrand abgestellten Anhängers abgegeben.

Diese Version ist inoffiziell, weil sie durch den FOCUS-Readakteur Göran Schattauer in seinem Buch über den angeblichen Amoklauf publiziert wurde. Die Quelle ist allerdings die Polizei, deren Material Schattauer vollkommen unreflektiert übernommen hatte.


Polizeiversion Nr.5 vom Beginn des Tathergangs in der Wertstraße im IG Wert/Wendlingen.

Ab September 2010.

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Im Zuge des Verfahrens gegen Jörg Kretschmer wurde zur Situation in der Wertstraße der Verdächtige wieder auf den Gehweg beim Autohaus platziert. Die angebliche Überquerung der Straße wurde wieder angeführt. Der Verdächtige soll dann vor den Augen der Polizisten über den Gehweg zum Hänger gestürmt sein, um von dort auf die Beamten zu schießen. Und danach soll er wieder zurückgelaufen sein, um sich endlich von PHK Rehm über die 66 Meter in die Beine schießen zu lassen. Womöglich sogar während des Laufens und das gleich zweimal.


Situation Wertstrasse II.


PHK Rehm, hinter seinem Fahrzeug in Deckung, soll das Feuer erwidert und den Verdächtigen auch sogleich getroffen haben. Laut Neumann „muss“ es so gewesen sein, dass Rehm den Tim Kretschmer an beiden Beinen verletzt habe. Eine logische Begründung hatte Neumann auch: weil man entsprechende Verletzungen bei Tim Kretschmer vorgefunden habe.

Dieser sei zusammengesackt und habe sich hingesetzt. Rehm habe ausgesagt, so Lottmann, dass es dem Täter die Beine weggeschlagen haben soll und dieser hingefallen sei.

PHK Rehm, der die angeblichen Schüsse des Verdächtigen erwidert haben soll, hat diese allerdings nicht in Richtung des Hängers am Fahrbahnrand abgegeben, sondern in Richtung Gehweg gegenüber der Autohandlung Hahn. Dort war später auch der Blutfleck vorzufinden. Auch die 5 Hülsen seiner verschossenen Patronen zeigten diese Richtung an.

Der Verdächtige, der sich eben noch beim Hänger befunden haben soll, soll sich demnach genau so schnell zurückgezogen haben, wie er vorher angegriffen hätte. Also wieder die rund 40 Meter über die freie Fläche zurück. PHK Rehm müsste den Verdächtigen demnach mit seinen 5 Schüssen sogar im Laufen erwischt haben. Angeblich sogar zweimal. Ein Wunder!

Oder war der Verdächtige gar nicht mehr gelaufen, sondern gestanden? Nur: warum sollte er stehen geblieben sein?
Allerdings ist es selbst bei einer stehenden Person ein Wunder mit einer Pistole über rund 66 Meter (Neumann: rund 70 Meter) mit 5 Schuss zwei Treffer in die Beine anzubringen.
Selbst der Oberstaatsanwalt stellte fest, dass man normalerweise auf diese Entfernung gar nicht treffen würde. Lottmann bezeichnete diese Treffer als Glückstreffer, doch ist dies kein Eingeständnis, sondern dient der Verschleierung.
Dieses unglaubliche „Glück“ erfuhr nämlich sogar eine ungeahnte Steigerung, als der Rechtsanwalt Franz anmerkte, dass der Streifenwagen drei „Treffer“ aufgewiesen hätte. KHK Lottmann erklärte daraufhin, dass PHK Rehm beim Schießen die Waffe auf dem Dach aufgelegt habe und zwei Schüsse die Dachreling gestreift haben dürften.
Das bedeutet aber nichts anderes, als dass PHK Rehm nur noch mit drei Schüssen zwei Treffer beim Verdächtigen gesetzt haben soll, da es sich bei den obigen zwei Schüssen nur noch um Querschläger gehandelt haben kann.

Nein, es geschahen damals keine Wunder. Wie wir bereits in den
Wendlingen-Kapiteln aufgezeigt haben, ist auch diese Szene falsch. Dies lässt sich allein an der vermeintlichen Schusswirkung ganz einfach widerlegen.

Dieser Verdächtige war schwer verletzt worden. Durch PHK Rehm, wie der Beamte Neumann „momentan“ davon ausging. Weil man ja die entsprechenden Wunden vorgefunden hätte, so seine Logik. Dafür war er aber ganz sicher bei seiner Behauptung, dass der Verdächtige später nicht mehr von der Polizei getroffen und verletzt wurde.

Der Gerichtsmediziner Professor Heinz-Dieter Wehner hatte an der Leiche von Tim Kretschmer neben dem Loch im Kopf zwei weitere Schussverletzungen feststellen können, wie er als Sachverständiger vor Gericht aussagte. Ein Steckschuss im rechten Bein steckte im Tibiakopfknochen, der dadurch gebrochen und gesprengt worden war. Dieser Tibiakopf befindet sich unterhalb des Kniegelenks bzw. mündet in dieses. Zum anderen befand sich der zweite Steckschuss im Sprunggelenk des linken Fußes. Laut Prof. Wehner in der Achillessehne.

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Der Kopf des Tibiaknochens des Wadenbeins, welcher oben im Kniegelenk einmündet.

Bekannte Rätsel. Zwei Wunden, aber nur an einem Fuß Blut. Die Frage, warum die Behörden auf die Idee kamen, auf zwei Treffer auf dem Gehweg vor Hahn zu schließen. Die Unmöglichkeit, mit derartig schweren Verletzungen fliehen zu können, denn auch Adrenalinschübe und Angst können eine mechanische Zerstörung nicht ungeschehen machen. Dazu das bekannte Handy-Video, in welchem eine Person, die angeblich Tim Kretschmer sein soll, durch das Bild spazierte, ohne den geringsten Anschein auch nur einer Verletzung zu erwecken.

PHK Rehm habe den vermeintlichen Täter aufgefordert, die Waffe wegzulegen. Dieser sei der Aufforderung nachgekommen und habe die Pistole rechts neben sich auf den Boden gelegt. Danach habe der Verdächtige auch seine Hände über den Kopf genommen. PHK Rehm habe daraufhin seine Deckung verlassen und sei auf den Verdächtigen zugegangen, um diesen festzunehmen.

Der Täter habe aber wieder zu seiner Waffe gegriffen und erneut geschossen, so der Bericht von Neumann. Nach Lottmann habe der Täter gar „in Serie mehrfach“ auf den nun ohne Deckung befindlichen Beamten Rehm gefeuert. Dieser habe sich gerade etwa in Höhe des Motor seines Dienstwagens befunden.

Nach Neumann habe sich PHK Rehm wieder hinter seinen Streifenwagen retten können und anschließend weitere Schüsse auf den Täter abgegeben. Allerdings erfolglos, denn es habe zu dieser Zeit angeblich ein reger Fahrzeug- und Passantenverkehr vorgelegen.
Von diesem regen Verkehr berichtete auch Lottmann, der dies aber als Begründung heranzog, dass danach PHK Rehm habe nicht mehr weiter schießen können.

Diese Behauptung hat Lottmann exklusiv für sich. Denn Rehm hatte laut sämtlichen Polizeiangaben und –quellen 8x geschossen. Dabei handelt es sich um eine der wenigen Konstanten in der Polizeischilderung, es wird auch durch die Munitionsangaben belegt.
An anderer Stelle antwortete Lottmann auf Nachfrage wiederum, dass PHK Rehm insgesamt 8 Schüsse abgegeben habe. Also blieb es auch dabei.

Die Situation, was der Täter angeblich alles hatte machen können, während PHK Rehm – was getan hat?, wurde bereits in den
Wendlingen-Kapiteln ausführlich erörtert.

Zu der angeblichen Wiederaufnahme des Feuerwechsels durch den Verdächtigen sei hier noch einmal darauf hingewiesen, dass vor dem Blutfleck auf dem Gehweg gegenüber dem Autohaus Hahn, dem Ort der Verletzung, drei Hülsen durch die Spurensicherung festgestellt wurden. Diese sollten vormals davon zeugen, dass von hier aus der angebliche Täter auf die Polizisten geschossen hatte. Die passen in die neue Version nun nicht mehr hinein, weil die Schüsse beim Anhänger abgegeben worden sein sollen. Und die drei Hülsen auf der anderen Seite des Blutflecks, die von dem erneuten Schießen des Verdächtigen zeugen sollen, befanden sich auf der falschen Seite des Gehweges beim Zaun. Sollte der Verdächtige jemals mit einer Waffe in Richtung PHK Rehm geschossen haben, so wären die Hülsen in Kantsteinnähe zu finden gewesen, da der Hülsenauswurf immer zur rechten Seite erfolgt. Diese vermeintliche Spur ist demnach falsch.

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Fotos: Capri

Hier noch Fotos von dem Gehweg gegenüber Autohaus Hahn.

Nach dem vor Gericht geschilderten Tathergang in der Wertstraße dürften die Hülsenspuren 15, 16 und 17 nicht existieren, weil sich die Hülsen des Verdächtigen nun beim Anhänger befanden. Die Spurensicherung hat sie aber belegt. Ob von hier aus tatsächlich auf PHK Rehm und PHK Schäfer geschossen wurde, steht nicht fest. Der Schütze muss sehr nah am Zaun gestanden sein, um die Hülsenlage plausibel zu machen. Außerdem war bislang die Schusswirkung nicht auffindbar.

Bei den Spuren mit den Nummern 19, 20 und 21 soll es sich um die Hülsen jener Geschosse gehandelt haben, welche der vermeintliche Täter erneut auf PHK Rehm abgegeben haben soll. Doch ist deren Lage viel zu nah beim Zaun, sie hätten sich beim Kantstein oder auf der Straße befinden müssen, da der Hülsenauswurf immer zur rechten Seite erfolgt. Folglich ist diese Spur falsch. Eine Schusswirkung für diese angeblichen Schüsse fehlt übrigens ebenfalls. Diese neue Polizeiversion der Ereignisse ist leicht belegbar vollkommen erfunden.

(Bei der Spur Nr. 18 handelt es sich um den Blutfleck).

In der Tat gibt es keinen einzigen Beleg, dass auf PHK Rehm geschossen wurde. Diese Behauptung gründet sich allein auf dessen Aussage sowie die falsch platzierten Hülsen.

Es mutet ebenfalls grotesk an, dass für die vorherigen Polizeiversionen der Beamte PHK Rehm ebenfalls als Zeuge gedient hatte. Seine erste Vernehmung hatte bereits am 11. März 2009 stattgefunden.

Da er laut aller Polizeiangaben nach seinen ersten 5 Schüssen wenig später 3 weitere aus der Deckung seines Fahrzeuges abgegeben haben soll, hätten dort 8 Hülsen zu finden sein müssen. Die Spurensicherung hatte aber nur die besagten 5 Hülsen feststellen können. Die 3 anderen befanden sich bei dem Anhänger. Soviel dazu.

Gestützt werden sollte dieses Märchen von einem DPD-Überwachungsband, welches angeblich die Angaben von PHK Rehm bestätigen soll. Das wird dieses Band aber nicht können, und deswegen wird es auch nicht gezeigt. Es wäre in dem Kameraausschnitt ohnehin nur ein einziger Akteur im Bild zu sehen – PHK Rehm. Und Ton hat die Kamera auch nicht, womit ein Verhalten seines Gegenübers vollständig unsicht- und unhörbar, gleich nicht überprüfbar bleibt.

Die Behauptung, dass ein reger Fahrzeug- und Passantenverkehr geherrscht haben soll, ist ebenfalls nur eine Behauptung, welche die Flucht des Verdächtigen trotz widrigster Umstände für diesen erklären soll. Einen Beleg dafür gibt es nicht. Nach Neumann und Lottmann soll auch dies auf dem DPD-Video zu sehen sein, so wie manches andere. Doch wo sollen diese Passanten plötzlich hergekommen sein – nach dem ersten Schusswechsel? Und wenn überhaupt, dann kann es sich – angeblich nachweisbar durch die DPD-Kamera – allerdings nur im Rücken von Rehm sichtbar abgespielt haben, womit diese Behauptung ohnehin als bloße Augenwischerei entlarvt wird.

PHK Schäfer hatte übrigens bei seiner Vernehmung am 12.3.2009 ausgesagt, dass er keine weitere Personen gesehen habe, sondern erst nach der „Schießerei“.

RA Steffan zitierte vor Gericht eine Aussage des PHK Rehm bei dessen Vernehmung (durch einen Herrn Lange) vom 11. März 2009.

Rehm:

„Als ich aus meiner Deckung hervor war, hat er die Waffe genommen und, soweit ich mich erinnern kann, 2 bis 3 mal geschossen. Dann lief er ins Autohaus.“

Dies ist eine eindeutige Aussage des PHK Rehm. Einen Beweis gibt es dafür nicht, weder Zeugen noch eine Schusswirkung dieser angeblichen Schüsse. Einzig drei Patronenhülsen an falscher Stelle.

KHK Lottmann hatte PHK Rehm zwar nie vernommen, doch mehrmals mit diesem gesprochen. In seiner Eigenschaft als Ermittlungsführer für den Tatkomplex Wendlingen hatte er dennoch, wie von der Verteidigung festgestellt wurde, keine Aktenvermerke bzw. Protokolle von der Darstellung der Geschehnisse hinterlassen.

RA Steffan:

„Herr Schäfer wurde am 11.3. auch befragt, von einem Herrn Straub. Schäfer habe keinen Sichtkontakt gehabt und erst später den Vorgang von Rehm erfahren.

Was hat der Herr Schäfer berichtet?“

Lottmann:

„Ist mir nicht bekannt.“

RA Steffan:

„Herr Schäfer habe nichts gesehen und Herr Rehm habe ihm später erzählt, dass er vom Anhänger aus beschossen wurde und dass der Täter die Waffe wieder aufnahm und sich an den Kopf gehalten habe. Und da haben Sie nicht nachgefragt?“

Lottmann:

„Die Aussage mit dem Hänger lässt sich objektiv widerlegen durch die Blutspuren weiter unten. Während der Täter auf Herrn Rehm schoss, habe dieser die Straße überquert. In diesem Zeitraum war ja der Herr Rehm wieder in Deckung.“

Entlarvender könnten die Aussagen von KHK Lottmann nicht sein. Demnach muss er erhebliche Widersprüchlichkeiten vollkommen ignoriert haben. Nicht nur das, Lottmann ließ sich dazu verleiten, dem Tatablauf aus der Schilderung des PHK Rehm zu widersprechen. Während er gleichzeitig dessen „widerlegbaren“ Äußerungen zu stützen versuchte.

Die Information, dass sich der Verdächtige eine Waffe an den Kopf gehalten haben soll, taucht in keiner polizeilichen Verlautbarung auf. Auch das hat seinen Grund.

Die Verteidigung konnte hier noch nachlegen und aufzeigen, wie von polizeilicher Seite (auch) vor Gericht gelogen wurde.

RA Steffan:

„Es gibt hier eine Aussage des Zeugen Ergün Somaz vom 12.3.2009.“

Zeuge:„Ich habe Schüsse gehört.“

Frage des Vernehmungsbeamten:„Wieviele?“

Zeuge:„Mehrere, vielleicht 5-6-7, in einer Folge, dann habe ich bei den Autos durchgeschaut. Der hat sich die Waffe an die Schläfe gehalten, hat sich nach links und nach rechts gedreht und ist dann rein ins Autohaus.“

Dieser Zeuge, Ergün Somaz, hatte etwas ganz anderes berichtet. Er hatte nur von einer einzigen Schussserie berichten können, obwohl es zuerst ein einzelner Schuss gewesen sein soll, kurz darauf drei Schüsse, dann die 5 Schüsse von PHK Rehm und schließlich noch weitere.

Diese Zeugenaussage widerspricht den Angaben des PHK Rehm und der Behörden entschieden. Der Verdächtige hat hier nicht geschossen, sondern einen Suizid angedroht. Dies wurde sogar durch PHK Rehm bestätigt, der davon kurz im Verlauf der eigenen Vernehmung berichtet hatte.

Veröffentlicht werden durfte diese Situation nicht, denn sie hätte die Polizeiversion in Frage gestellt. Da der Verdächtige die Waffe gegen sich selbst gerichtet hatte, hatte er gleichzeitig nicht PHK Rehm bedrohen können. Das leuchtet jedem ein.

Folglich war die Situation eine ganz andere. Folglich kann auch das, was zur Stützung der Aussagen des Rehm herangezogen wurde, nicht richtig sein. Es sind auch nur ausschließlich Behauptungen, während die Aussage des Zeugen Ergün Somaz belegt werden kann.

Die Spurensicherung der Polizei hat neben dem Blutfleck drei Spuren (Nr. 19-21, jeweils Hülse oder Patrone) markiert. Sollten es Hülsen gewesen sein, so müssen sie dort abgelegt worden sein – aber sicher nicht vom Verdächtigen. Sollten es unverbrauchte Patronen gewesen sein, so wäre auch hier der Nachweis sichtbar gewesen, dass der Verdächtige nicht geschossen haben kann.

KHK Lottmann konnte diese Situation nicht auflösen und bekam Hilfe vom Oberstaatsanwalt, der diese für ihn bedrohliche Entwicklung abzuwürgen versuchte. Dies gelang auch, aber auch nur, weil die Verteidigung aus unbekannten Gründen auf ein weiteres Nachfassen verzichtete.

Weiter mit den angeblichen Ereignissen:

Der Täter sei dann über die Straße in Richtung Haupteingang des Autohauses Hahn gegangen, so KHK Lottmann.

Den Rechtsanwalt Sikic interessierte es, was der PHK Rehm unterdessen unternommen habe. Sikic fragte, ob der Beamte aus seiner Deckung gekommen sei und den Täter verfolgt habe.

Die Antwort von Lottmann war folgende:

„Das war nicht möglich. Es waren ja rund 70 Meter Entfernung, und der Täter ist gleich rein ins Autohaus.“

RA Sikic hatte eine wichtige Frage gestellt, die Frage nach dem weiteren Vorgehen des PHK Rehm. Es hat aber kein weiteres Vorgehen dieses Polizisten gegeben, weswegen KHK Lottmann die Situation mit der Behauptung zu retten versuchte, dass eine Verfolgung nicht möglich gewesen wäre.

Das ist natürlich Unsinn. Lottmann selbst konnte es nicht erklären – wie denn auch. Seine Begründung kam einem Offenbarungseid gleich. Als wenn die Entfernung von 70 Metern oder ein Gebäude für eine Verfolgung eines an den Beinen angeschossenen Verdächtigen relevant sei, zumal es auch darum gehen musste, andere Personen vor einem vermeintlichen Mörder zu schützen. Erst recht, weil Rehm zu diesem Zeitpunkt angeblich der einzige Polizist vor Ort gewesen sein soll.

RA Sikic:

„Waren zu diesem Zeitpunkt schon andere Beamte vor Ort?“

„Nein, erst später kam die Streife Dürr/Graf, die den rückwärtigen Bereich gesperrt haben“.

Herr Rehm hatte diesen berichtet, dass der Täter ins Autohaus geflüchtet ist. Er habe nur noch gesehen, wie die Eingangstüre von Hahn zufiel.

RA Sikic:

„War es Ihnen nicht möglich, die Personen im Autohaus zu warnen?“

Lottmann:

„Nein. Es waren ja noch keine weiteren Beamten da. Erst als die Streife vor dem Autohaus eintraf.“

Auch dieser Dialogausschnitt ist interessant.Demnach solllaut KHK Lottmannder Streifenwagen mit der Besatzung Dürr/Graf daszweite Polizeifahrzeug vor Ortgewesen sein. Um sogroteskererscheint es, dass diese beiden Polizistennicht etwa den Hinterausgang des Autohauses abriegelten,in dem sich der Täter befunden haben soll,sondern sich zwischen der Firma „Ritter“ und dem Autohaus „Käser“ aufgestellt hatten, wie wir wissen. Also weitab des Geschehens, so dass auch hier von einem Interesse, den vermeintlichen Täter zu verfolgen und zu stellen, nicht die Rede sein konnte.

PHK Rehm soll laut Lottmann sogar mit den Beamten Dürr und Graf kommuniziert haben, was dem ganzen einen realen Anstrich verleihen könnte, in diesem Fall aber stattdessen die oben genannte Tatsache der Nichtaktivität unterstreicht.

Augenblicke später sagte Lottmann wiederum, dass die weiteren Beamten erst in Form einer Streife vor dem Autohaus eingetroffen wären, womit er eine andere Streifenwagenbesatzung gemeint haben sollte.

standorte_von_rehm-schaefer_sowie_graf-duerr.jpg

Die Standorte der Polizeiduos Rehm/Schäfer sowie Graf/Dürr.

Die angebliche Beobachtung des Rehm von der zufallenden Eingangstür ist ebenfalls interessant, denn Rehm, der nicht zur Verfolgung angesetzt hatte, hatte von dem Bereich beim „Luxor“ aus, wo er gewesen sein soll, den Haupteingang selbst gar nicht sehen können. Dafür hätte er sich schon im Bereich des Anhängers befinden müssen. Dort will er aber nicht gewesen sein.


Die Situation im Autohaus


In dem Gebäude der Autohandlung habe der 2.„Täterkontakt“ stattgefunden durch den dort angestellten Herrn Daniel März, erzählte KOK Neumann dem Gericht. Der Täter habe von diesem Autoschlüssel gefordert und außerdem jemanden, der ein Fahrzeug fahren könne.

Nach Lottmann habe der Täter zu Herrn März „sinngemäß“ gesagt: „Wo ist Auto? Wir fahren jetzt!“

März, der Verkäufer, habe erwidert, dass er die Schlüssel holen müsse und sei dann geflüchtet, wobei er noch versucht haben soll, seine Kollegen zu warnen.

Der Täter sei weiter gegangen und habe im nächsten Bereich des Autohauses wortlos den Kundenberater Denis Puljic mit 9 Kugeln und dessen Kunden Sigurt Wilk mit 4 Kugeln erschossen.

Nach Lottmann und Neumann soll weiteren Kundenberatern und Kunden die Flucht durch den Hinterausgang gelungen sein, als der Täter das Magazin seiner Waffe gewechselt habe.

Der Verdächtige, der laut den Polizeibehörden Tim Kretschmer gewesen sein soll, konnte in ein Autohaus gehen, dessen zur Mittagspause anwesendes und arbeitendes Personal ausnahmslos nichts von den Schüssen direkt vor ihnen auf der Straße mitbekommen haben soll und auch tatsächlich nicht hatte.

Das ist natürlich unmöglich.

Demnach hatte es keine Schüsse zu dem Zeitpunkt gegeben, als der Mörder das Autohaus betrat.

Ein Mörder, dessen deutsche Sprache offenbar gebrochen gewesen zu sein scheint, ein Mörder, der ausdrücklich Autoschlüssel verlangte und auch noch einen Fahrer und der sich dann einen Moment darauf aber nicht mehr dafür interessiert hatte, weil er wie unmotiviert zwei andere Menschen erschießen musste. Und dies auch noch mit ganzen 13 Schüssen aus kürzester Distanz. Er muss fast sein ganzes Magazin geleert haben, obwohl sich angeblich die Polizei auf seinen Fersen befunden haben soll.

Der Täter soll insgesamt 13 Schüsse auf seine Opfer abgegeben und dabei Pulic 9x und Wilk 4x getroffen haben.

Hierzu der Gerichtsmediziner Prof. Heinz-Dieter Wehner als Sachverständiger während des 6. Prozesstages (5.10.2010), welcher die beiden Leichen zumindest inspiziert habe. (Eine Obduktion war bekanntlich unterlassen worden).

Prof. Wehner gab gegenüber dem Gericht an, dass das Opfer Sigurt Wilk 3 Einschüsse sowie einen Ausschuss aufgewiesen habe. Ein Schuss traf ihn durch die Ohrmuschel in den Kopf, während die beiden weiteren Geschosse aus kürzester Distanz in seinen Nacken eingedrungen waren. Der Körper von Denis Puljic habe 11 Einschüsse aufgewiesen. Es wäre überwiegend der linke Torax betroffen gewesen, von der Hüfte aufwärts.

Hier mag es sich um Nebensächlichkeiten handeln. Hier der Polizist, der erzählt, dass Puljic von 9 Kugeln getroffen wurde, dort der medizinische Sachverständige, der 11 Einschüsse angibt. Hier der Polizist, der von insgesamt 13 Schüssen erzählt, dort der Sachverständige, nach dessen Ausführungen die Rede von 14 Schüssen ist.

Die Sache ist nur die, dass auch in diesen scheinbaren Nebensächlichkeiten unerklärliche Variablen zu finden sind. Denn natürlich ließ sich alles ganz genau feststellen: die Gesamtanzahl der Schüsse, die Zahl der Hülsen, die Schusswunden je Person und wie erlitten.

Derartige Variablen in Angaben, wo keine sein dürften, werfen Fragen auf. Eine von ihnen könnte jene sein, warum einerseits gegenüber dem Opfer Denis Puljic offenbar eine besondere Mordlust vorgelegen haben könnte, andererseits diese Frage mit den möglicherweise nicht richtigen polizeilichen Angaben abzuschwächen versucht wird.

Die DNA-Sachverständige Diplom-Biologin Frau Dr. rer. nat. Dosa vom LKA gab innerhalb ihrer Ausführungen am 11. Prozesstag (28.10.2010) an, dass sie aus dem Autohaus Hahn 50 (!!!) Patronenhülsen erhalten habe.

Für diese Angabe benötigt man keinen Taschenrechner, auch mit zehn Fingern lässt es sich ganz genau nachzählen. 9 + 4 + 12 oder auch 3 + 11 + 12. Laut Polizei soll der vermeintliche Täter übrigens in ganz Wendlingen 46 Hülsen hinterlassen haben. Aber das muss ja auch nicht unbedingt richtig sein…

Der Zusammenhang zwischen der Person auf dem Gehweg und dem Autohaus wurde von der LKA-Beamtin und 3D-Spezialistin Peterhans hergestellt. Sie berichtete, dass sich vom Haupteingang ein Blutabdruck des rechten Fußes durch das Gebäude gezogen habe.

Demnach die Spur nur eines blutigen Fußes, obwohl der linke Knöchel ebenfalls angeschossen worden sein soll.

Die Sache ist nur die, dass vor dem Haupteingang, und überhaupt auf der ganzen Strecke zwischen Gehweg und Autohaus, keine Blutspur festgestellt werden konnte.

Neumann und Lottmann erzählten, dass dann ein (weiterer) Streifenwagen vor den Haupteingang der Autohandlung vorgefahren wäre. Dies sei von dem Täter bemerkt worden, der daraufhin nach vorne gekommen sei und 12 Schüsse durch das Glas abgegeben habe, wie KHK Lottmann schilderte.

Neumann sagte, dass die 12 Schüsse auf den neuen Streifenwagen abgegeben worden wären, woraufhin deren Besatzung hinter ihr Fahrzeug in Deckung gegangen sei.

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RA Kiefer fragte, was denn die 12 Geschosse durch das Glas getroffen hätten. Erstaunlicherweise gab KHK Lottmann zur Antwort, dass die Schüsse etwas höher als das Polizeifahrzeug gewesen wären. Weil sich im Autohaus vor der Frontscheibe ein Neuwagen befunden hätte, über den der Täter habe hinweg schießen müssen.

Diese neue Information hat etwas Groteskes. Warum soll der angebliche Täter überhaupt geschossen haben? Denn das Fahrzeug vor dem Fenster wird ja auch die Sicht versperrt haben. Als Geste, um sich bemerkbar zu machen? Oder für die Presse später? Warum außerdem gleich auch das 2. Magazin so gut wie leer schießen? Um sich dann festnehmen zu lassen? Und warum wurde der weiße PKW außerhalb der Glasfassade nicht in Mitleidenschaft gezogen?

Der PHK Rehm spielte in diesem Stück keine Rolle mehr. Die Beamten vor dem Haupteingang des Autohauses übrigens auch nicht.

Was übrig blieb waren nur 12 Löcher im Glas, um später die Aggressivität des Täters zu unterstreichen und die Tatenlosigkeit der Beamten vor der Tür zu rechtfertigen.

Die LKA-Beamtin Peterhans wiederum führte vor Gericht aus, dass der Täter aus der Mitte des Raumes geschossen haben soll. Dabei habe er einen alten Golf sowie den Polizeiwagen beschädigt.

Es dürfte die Sicht des Schützen nicht verbessert haben, in der Mitte des Autohauses gestanden zu sein. Der VW Golf wurde von der Spurensicherung markiert, ebenfalls der Streifenwagen. Doch passte dessen Streifschuss nicht zu dem Winkel der Schüsse aus dem Autohaus, wie bereits in den Wendlingen-Kapiteln dargestellt wurde.

Ansonsten erfuhr man nichts weiter zur Situation oder zu den Spuren im Autohaus. Zeugenaussagen gab es auch keine.

Nur eine Nebensächlichkeit wurde noch genannt. Der Sachschaden in der Ausstellungshalle des Autohauses Hahn soll angeblich 85.000,- Euro betragen haben.

Die Höhe dieses Sachschadens ist allerdings anhand der Polizeiangaben nicht nachzuvollziehen. Zwei Stühle, ein Tisch, ein wenig Handwerksarbeit, doch wird das aus dickem Glas bestehende große Stück der Glasfassade sehr teuer gewesen sein. Plus dem kleineren Stück unterhalb dieser. Aber 85.000,- Euro?

Wurde das vor dem Fenster abgestellte Schaufahrzeug beschädigt? Aber warum wurde dies nie benannt, wenn doch die anderen Fahrzeuge aufgezählt wurden? Wurden möglicherweise weitaus mehr Schüsse abgegeben? Die ebenfalls nie benannt wurden? Gab es Schüsse und Schusswirkung, die möglicherweise nicht ins Bild der polizeilichen Schilderung passten?

Es wäre interessant zu erfahren, was alles im Autohaus von der Spurensicherung damals festgestellt worden ist.


Die Situation auf dem Hof des Autohauses sowie auf dem Parkplatz der Fa. Aluminium-Ritter


Nach Neumann sei der vermeintliche Täter dann durch den Hinterausgang auf den dortigen Hof geflüchtet und dort umhergegangen. Dies erzählte auch KHK Lottmann, der genauer angab, dass der vermeintliche Täter nach links zu den Containern gegangen sei, wo es einen Weg nach vorne zur Straße gäbe. Da dort aber Polizei gewesen sei, wäre der Täter wieder zurück zum Hinterausgang des Autohauses gegangen.

Lottmann sagte noch, dass über Funk die Meldung gekommen sei, dass sich der Verdächtige bei einem weißen Container aufhalten würde, dass jedoch kein weißer Container feststellbar gewesen sei.

Die Lokalisierung eines Verdächtigen ist in dieser Geschichte aber nicht unerheblich. Und wer soll den weißen Container nicht festgestellt haben, wenn die Polizisten nach ihren eigenen Angaben gar nicht dort gewesen sind?

Der Funkspruch dürfte übrigens von dem Polizeihubschrauber stammen, welcher die ganze Zeit über der Szene geschwebt war.

Von einer Flucht des Verdächtigen konnte sogar in dieser Darstellung nicht wirklich die Rede sein. Der Verdächtige ging eine ganze Weile nur in dem Hof der Firma Hahn herum, von der Polizei vollkommen unbehelligt. Er kehrte sogar zum voll verglasten Hintereingang der Autohandlung zurück, obwohl er hätte niemals davon ausgehen können, dass die Polizisten auf der Vorderseite keine Anstalten machten, in das Autohaus einzudringen.

Von wem der Funkspruch bezüglich des weißen Containers gekommen sein soll, wurde nicht genannt. Diesen weißen Container kann man übrigens nicht übersehen.

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(Foto: Capri)

Auf dem oberen Foto die beiden Container - rot und weiß - im Hintergrund. Auf dem unteren Foto eine Nahansicht, die aufzeigt, dass die Container offenbar zu klein gewesen sein müssen. Oder hatten sie sich bewegt?

Interessanter ist hier aber die Lokalisierung des Verdächtigen auf der einen Seite und die weitere Nichtaktivität der Polizisten auf der anderen Seite, während wiederum an anderer Stelle überhaupt kein Verdächtiger festgestellt wurde. (Siehe z.B. die Polizeiangaben in der Publikation von Schattauer).

KHK Lottmann erzählte dem Gericht weiter, dass der vermeintliche Täter schließlich den Hof von Hahn überquert habe und zur Firma „Ritter-Aluminium“ gegangen sei. Dort habe er sich hinter den geparkten Fahrzeugen zunächst Richtung einem Eingang dieser Firma bewegt.

Dass man sich auf einem Parkplatz hinter geparkten Fahrzeugen bewegt, soll schon häufiger vorgekommen sein. Diese geparkten Fahrzeuge sollten auch schon in den früheren Schilderungen den Eindruck erwecken, dass sich der Verdächtige in Deckung befunden hätte.

Dem war aber nicht so. Auf der anderen Seite der Fahrzeuge befand sich die Straße, die Firma „Festool“ und sonst nichts. Richtung Autohaus Hahn, dort, wo die Polizisten an Zahl immer mehr zunahmen, sonst aber nichts unternahmen, war der Bereich vollkommen offen.

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Auf dem unteren Bild ist es gut ersichtlich, dass der Parkplatz vor der Firma „Ritter“ in Richtung Autohaus „Hahn“ vollkommen deckungslos gewesen war. Aber genau in dieser Richtung hatte sich die Polizei versammelt.

Lottmann berichtete, dass mittlerweile eine Streife aus Nürtingen (mit den Beamten Dürr und Graf) die Straße Höhe Firma Ritter gesperrt habe, so dass dort kein Durchkommen mehr möglich gewesen wäre.

Es wurde allerdings nirgends ersichtlich, dass der Verdächtige überhaupt die geringsten Anstalten gemacht hatte, in diese Richtung zu gelangen. Dabei hatte man ihm so viel Platz gelassen. Die Beamten Dürr und Graf hatten sich nämlich im hinteren Bereich der Firma „Ritter“ positioniert, nahe dem Autohaus „Käser“. Diese hatten offenbar erst gar nicht versucht, den Verdächtigen am Hinterausgang von „Hahn“ abzufangen.

Nach Neumann soll der Verdächtige dort auf Personen geschossen haben, welche den dortigen Eingang der Firma „Ritter“ verschlossen. Lottmann sagte dazu, dass es der Geschäftsführer gewesen sei, welcher dort die Tür abgeschlossen habe. Auf diesen habe der Täter einen Schuss abgegeben.

Lottmann sagte, dass der Verdächtige von den Beamten Dürr und Graf zuerst für eine unbeteiligte Person gehalten und daher über Lautsprecher angesprochen worden wäre. Danach habe der Täter in Richtung der Beamten geschossen. Der Beamte Dürr habe mit 5 Schüssen aus seiner MP das Feuer erwidert, jedoch nicht getroffen.

Es wurden in Richtung des Eingangs der Firma „Ritter“ drei Schüsse abgegeben. Die Schusswirkung der angeblich auf die Beamten Dürr und Graf abgegebenen Schüsse – die Anzahl ist nicht bekannt - konnte nicht eruiert werden.

Auch die angeblichen 5 Schüsse aus der Polizei-MP können nicht nachvollzogen werden. Löcher und Beschädigungen an der Fassade der Firma „Ritter“ sind zu weit gestreut und in zu niedriger Höhe zu finden. Die dem Beamten Dürr zugerechneten Patronenhülsen zeigten einen Bewegungsverlauf an, den es nicht gegeben haben kann. Zudem befanden sie sich neben einem Fahrzeug, in dessen Heck er gleichzeitig aus Versehen geschossen haben soll.

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Nach den Angaben der Polizei soll der Beamte Dürr 5 Schüsse aus seiner MP auf den vermeintlichen Täter abgegeben haben. Die auf dem Gehweg und dem Rasen vorgefundenen 5 Hülsen werden diesem Ereignis zugeschrieben. Diese Behauptung ist nachweislich falsch.

Dürr hätte demnach von unterschiedlichen Stellen jeweils einen Schuss abgegeben, was unsinnig ist. Es gibt auch keine entsprechende Schusswirkung Richtung Parkplatz. Es ist für jeden Betrachter augenblicklich erkennbar, dass die Hülsen nicht zu jenen Projektilen gehören, deren drei in das Heck des VW Touran eingeschlagen waren. Die Lage der beiden mit 1 und 2 gekennzeichneten Hülsenfundorte zeigt außerdem auf, dass genau in die entgegengesetzte Richtung geschossen worden sein müsste. Wie wir wissen, erfolgt der Hülsenauswurf immer zur rechten Seite.

Es ist eindeutig, dass sich eine Person nahe dem VW Touran befunden hatte, die dort beschossen worden war und die ihrerseits zurückgeschossen zu haben scheint, während sie sich in Bewegung befunden hatte - von der Streife Dürr/Graf weg.

Auch hier kann die Spurenlage zur Polizeiversion der Ereignisse nicht konträrer sein. Deren Schilderung des Hergangs ist vollkommen falsch, die Geschehnisse waren ganz andere.


Die Situation um die beiden schwer verletzten Zivilbeamten


Neumann erzählte, dass inzwischen weitere Kräfte eingetroffen wären, unter anderem ein Zivilfahrzeug mit den Beamten B. und Geiger sowie Metz auf dem Rücksitz.

Lottmann gab an, dass gleich drei weitere Fahrzeuge aus Richtung Hahn eingetroffen wären; zwei zivile Fahrzeuge und ein Streifenwagen.

Das ist neu. Oder Lottmann hatte sich missverständlich ausgedrückt und gemeint, dass diese beim Autohaus Hahn eingetroffen wären. Wahrscheinlich letzteres.

Die Aussagen der beiden Beamten C.B. und Sandra Geiger wurden während des 24. Prozesstages (21.12.2010) nur verlesen.

Schräg gegenüber dem Autohaus Hahn, an der dortigen Kreuzung, hätten sie damals nach ihrer Ankunft im IG Wert ihr ziviles Fahrzeug am linken Fahrbahnrand abgestellt. Vor ihnen sei ein anderes Polizeifahrzeug gestanden. Beide Beamten berichteten von dem Polizeihubschrauber, welcher über dem Gelände gekreist sei. Diesen hätten sie wegen der Einweisung angefunkt.

Die Polizisten B. und Geiger bestätigten somit den Polizeihubschrauber, welcher auch von zahlreichen Zeugen im IG Wert beobachtet worden war. Die Besatzung des Hubschraubers hatte über dem Areal alles im Blick gehabt und sogar mit einer Videokamera gefilmt.

Die Beamten B. und Geiger hätten dann mehrere Schüsse hinter dem Autohaus wahrgenommen. B. schätzte deren Anzahl auf 2 bis 4 Schüsse. Frau Geiger konnte nicht angeben, ob diese Schüsse aus einer oder mehreren Waffen stammten.

Da sie angenommen hatten, dass die nahe der Firma „Ritter“ befindlichen Beamten Dürr und Graf nun in Schwierigkeiten wären, hatten sie diesen helfen wollen. Zur Unterstützung wäre noch der Polizeibeamte Metz mit einer Maschinenpistole zu ihnen ins Fahrzeug gestiegen.

Die Schätzung des Beamten B. die Anzahl der wahrgenommenen Schüsse betreffend sollte viel zu niedrig sein. Der Täter habe ja mehrere Schüsse auf den Eingang der Firma „Ritter“ abgegeben, habe aber auch auf die Beamten Dürr und Graf geschossen, von denen wiederum der Beamte Dürr mit seiner Maschinenpistole fünf Schuss abgegeben haben soll.

Natürlich ist eine Schätzung nicht mehr, als es ist: eine Schätzung, eine ungefähre Angabe. Es ist aber nicht auszuschließen, dass B. mit seiner Angabe so falsch nicht gelegen ist.

Jene damals von SPIEGEL-TV ausgestrahlte kurze Sequenz eines Amateurvideos zeigte nur den vorderen Bereich der Autohandlung Hahn mit einem erkennbar in Deckung befindlichen Polizisten in Zivilkleidung davor. Es sind auf diesem Band Schüsse zu hören, zuerst drei aus einer Waffe, dann weitere drei aus einer anderen Waffe. Da hier die Tonspur bereits endete, könnten aus der zweiten Waffe auch mehr als drei Schüsse abgefeuert worden sein. Wir können es aber nicht feststellen, weil der Rest des Videos nie gezeigt wurde.

Quelle: RTL (Spiegel-TV Reportage)

Diese von SPIEGEL-TV ausgestrahlte Sequenz eines Amateurfilmers ist natürlich nur ein Fragment des Videos. Die Ereignisse vor und nach dieser Sequenz wurden nie veröffentlicht, obwohl diese weitaus mehr zeigen sollten als die vorliegende. Die SPIEGEL-Redaktion hat versehentlich dieses Video einer Situation zugeordnet, die es so nicht gab. Die hörbaren Schüsse fielen nicht aus dem Autohaus heraus, sondern hallten vom Bereich der Firma „Ritter“ auf der Rückseite des Autohauses herüber.

Im Vordergrund kurz zu sehen das nach hinten fahrende Polizeifahrzeug.

Die Schüsse sind erst nach einem Schnitt zu hören, doch handelt es sich hierbei um dieselbe Szene.

Dem Verlauf der Polizeiangaben folgend, sollte es sich auf diesem Videofragment um Schüsse des Täters sowie um jene der Polizei gehandelt haben. Es kommt nur die Situation in Frage, in welcher der Polizist Dürr mit seiner MP zurück geschossen haben soll.

Wie viele Schüsse letztlich auch gefallen sein müssen, bevor sich die Beamten B., Geiger und Metz auf den Weg gemacht hatten, die auf dem Video wahrnehmbar schnelle Schussfolge liefert hier erneut ein Indiz, dass die nahe dem VW Touran aufgefundenen Patronenhülsen, der Linie einer Schleife folgend, nicht mit den polizeilichen Angaben deckungsgleich zu bringen sind. Bei einer schnellen Schussfolge hätten sich die Hülsen in etwa im selben Bereich befinden müssen. Das Ereignis um den VW Touran herum muss sich folglich erst danach ereignet haben.

Das Videofragment von SPIEGEL-TV hatte zudem noch einen Streifenwagen zum hinteren Bereich der Firma „Ritter“ vorbeifahren gezeigt. Die Schüsse waren auf dem Band 10 Sekunden später zu hören (9 plus 1 oder 2 Sekunden, da vermutlich die Zoomeinstellung herausgeschnitten wurde). Von diesem Streifenwagen und dessen Besatzung ist nichts bekannt. Nach der polizeilichen Darstellung kann es sich nicht um die Polizisten Graf und Dürr gehandelt haben. Die Anwesenheit weiterer Polizisten, nach deren Eintreffen kurz darauf die Schüsse zu hören waren, kommt in keiner Polizeidarstellung vor. Von deren Existenz wissen wir nur dank des Videofragments von SPIEGEL-TV.

Bevor es nun zu dem für die Beamten B. und Geiger verhängnisvollen Zwischenfall kam, wurde vor Gericht durch den Rechtsanwalt Steffan ein bisher unbekanntes Detail bekannt.

RA Steffan:

„Können Sie sich an die Aussage des Beamten Ümid Ylmaz erinnern?“

Lottmann:

„Nicht bekannt.“

RA Steffan:

„Nun, er sagte aus, dass er, als die Zivilstreife in Richtung der Schüsse fuhr, dorthin wollte, doch die Kollegen haben laut geschrien, er solle da bleiben. Wann hat das wer gerufen und warum?“

Lottmann:

„Keine Kenntnis, das kann der Einsatzleiter wissen, der POK Lipp von der PD Nürtingen.“


Leider wurde dieser Situation nicht weiter nachgegangen.

Was hatten die schreienden Beamten gewusst oder geahnt?

Es ist somit höchst unklar, was dort im Bereich zwischen den Firmen „Hahn“ und „Ritter“ tatsächlich vorgefallen ist. Wir können nur nachweisen, dass die Angaben der Polizei falsch und gelogen sind.

Die Beamten B., Geiger und Metz fuhren in eine für sie unbekannte Situation hinein. Kollegen, die ihnen folgen wollten, wurden aber zurückgehalten. Offenbar hat es bei den versammelten Polizisten zwei Lager gegeben. Jene, die den in Schwierigkeiten gewähnten Beamten Graf und Dürr zur Seite stehen wollten, und jene, die möglicherweise besser informiert waren.

ausgangsposition_b_und_geiger.jpg

Ausgangsposition der Beamten B. und Geiger an der Kreuzung nahe dem Autohaus Hahn.

Nach der weiteren Schilderung des KHK Lottmann dem Gericht gegenüber, soll der Täter über oder zwischen den geparkten Fahrzeugen hindurch geschossen und dabei das Zivilfahrzeug getroffen haben. Hierbei wurden zwei Beamte – B. und Geiger – schwer verletzt. Laut Neumann durch einen einzigen Schuss, der beide Beamten getroffen hätte.

Interessanterweise gab die Staatsanwaltschaft in ihrem Abschlußplädoyer während des 25. Prozesstages (11.01.2011) an, das der Täter vom Hinterhof der Autohandlung „Hahn“ aus auf das zivile Polizeifahrzeug geschossen haben soll - und nicht mehr vom kleinen Parkplatz der Firma „Ritter“.

Schon in der am 1. Prozesstag (16.09.2010) durch die Staatsanwaltschaft verlesenen Anklageschrift hieß es: Nach dem Verlassen des Autohauses durch den Hinterausgang habe der Täter vom Hof aus auf ein vorbeifahrendes Polizeifahrzeug geschossen und die beiden Beamten schwer verletzt.

Glücklicherweise sind wir in der Lage, auch hier ein wenig Licht in die Angelegenheit zu bringen. Dank des FOCUS-Redakteurs Göran Schattauer in seiner Rolle als Polizeisprecher können wir seiner Publikation folgendes entnehmen:

„Der Wagen fährt knapp 50 Meter. Rollt vor die Firma Ritter-Aluminium, wo der Täter mit der Waffe im Anschlag wartet. Krachend zischt ein Geschoss durch die Seitenscheibe des Polizeiautos.“

Dieselbe Szene im Abschnitt sah der mit einer MP bewaffnete Polizist Dürr, der sich in Richtung Autohaus Käser befunden haben soll, anders:

„Der Polizist sieht, wie der Täter über den Parkplatz Richtung Autohaus Hahn läuft und auf die Straße schaut. Dort fährt gerade ein Zivilfahrzeug mit aufgesetztem Blaulicht vor. Der Täter hebt den Arm und schießt aus etwa zehn Meter Entfernung auf das Auto.“

Die Polizei scheint somit in ihren Akten immer noch etwas unentschlossen, von wo aus der vermeintliche Täter geschossen haben soll. Deutlich wird hier aber, dass Schattauer und die Staatsanwaltschaft ein und dieselbe Quelle zur Verfügung hatten und haben – die Polizei.

Beweise für diese Geschichte sind nicht bekannt. Oder es gibt sie auch nicht. Die bisherige Polizeiversion hatte es ebenfalls anders geschildert. Das schien auch vor Gericht niemanden zu stören. Mal so, mal so, mal so – egal!

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In dieser Skizze befindet sich das zivile Fahrzeug (türkis) mit den Beamten B., Geiger und Metz auf Höhe des Hofes der Firma Hahn. Die Polizei behauptet über Schattauer und die Staatsanwaltschaft, dass dort der verhängnisvolle Schuss auf die Beamten abgegeben worden wäre. Nicht alle Beamten haben davon Kenntnis und scheinen der Alu-Ritter-Theorie anzuhängen. Nur Schattauer hatte den Geistesblitz, beide sich widersprechende Ereignisse einfach gleichzeitig geschehen zu lassen (siehe dort) und keine Fragen zu stellen.

Den verlesenen Aussagen nach gab der Beamte B. an, dass sie etwa 50 Meter gefahren wären. Laut Frau Geiger mit mäßigem Tempo, da man nach dem Täter Ausschau gehalten habe.

Der Beamtin waren bei der Firma „Festool“ Arbeiter aufgefallen, die mit dem Handy gefilmt hätten. Getroffen worden wären sie auf Höhe der Firma „Ritter-Aluminium“.

Beide Polizisten gaben an, den Schützen nicht gesehen zu haben.

Laut diesen Aussagen wurden die beiden Polizisten von einem Schuss verletzt, als sie sich gegenüber der Firma „Ritter“ befunden hatten. Dies wird auch durch die Aussage von Frau Geiger belegt, da sie die Schaulustigen hinter den Fenstern der Firma „Festool“ bemerkt hatte, was nur dort möglich gewesen wäre.

Unergründlich ist noch der Umstand, dass der Beamte B. das Fahrzeug im Schussfeld des Schützen abgestellt hatte, anstatt zu den Kollegen weiter vor zu fahren. Dort hätte er nicht nur Schutz, sondern auch Hilfe gehabt.

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Bilder: Stern

Unteres Bild: rechts unten befand sich der zum Stehen gekommene Opel Astra Kombi. Die Firma Festool befindet sich gegenüber der Firma Ritter, hier nicht mehr im Bild. Arbeiter hatten dort mit ihren Handys gefilmt, als das zivile Polizeifahrzeug vorgefahren war. Diese Aufnahmen, die möglicherweise wichtige Anhaltspunkte liefern können, wurden nie als Beweis herangezogen oder veröffentlicht. Dies gilt auch für alle anderen Aufnahmen, die es gegeben hatte, aber unter Verschluß gehalten werden.


Der angebliche Suizid des Tim K.


Der Täter habe danach Selbstmord begangen, sagte KOK Neumann. KHK Lottmann ergänzte die Ausführung seines Kollegen mit der Vermutung, dass wohl das Magazin des Täters leer gewesen sei. Denn dieser habe das Magazin gewechselt, sich hingesetzt und sich dann selbst erschossen.

Neumann gab an, dass dies von Zeugen beobachtet und auch gefilmt worden sei. Lottmann dazu präziser, dass ein Mitarbeiter der Firma „Ritter“ mit seinem Handy durch das Glas des Vorbaus gefilmt habe, während eine Zeugin im 1. Stock wegen des Geschehens einen Kreislaufkollaps erlitten habe.

Lottmann schilderte aber auch noch, wie der erste Beamte bei der Leiche die auf deren Brust liegende Pistole sicherheitshalber mit dem Fuß weggekickt haben soll.

Dieses bekannte Handyvideo wurde nicht gezeigt und vor allem nicht ausgewertet. Die gezeigte Person ist nicht zu identifizieren, weder als Tim Kretschmer noch als sonst wer. Diese Person bewegt sich leichtfüßig, es gibt keinen Hinweis auf schwere Verletzungen an den Beinen. Sie kommunizierte in Richtung des Filmers, eine Bedrohung ist nicht ersichtlich. Dieses „Hinsetzen“ ist deutlich erkennbar in keiner natürlichen Bewegung erfolgt. Die Szene des angeblichen Selbstmords fehlt, Zeugen wurden nicht gehört oder deren Aussagen verlesen. Der Name des Handyfilmers, ein ungemein wichtiger Zeuge, fehlte in den Akten, die den Rechtsanwälten der Verteidigung vorgelegen haben. Der Beamte Neumann war vor Gericht nicht in der Lage, diesen Namen zu nennen. Später fragte niemand mehr nach.

Außerdem ist es physikalisch unmöglich, dass die Pistole auf der Brust des Toten gelegen haben soll, nachdem dieser sich zuvor angeblich selbst in den Kopf geschossen hatte.


Was hatte die LKA Beamtin Frau Peterhans zu dieser Endszene zu bieten?

Frau Peterhans konnte ein Bild vorweisen, in welchem nur ganze zwei Schussbahnen auf dem kleinen Parkplatz vor der Firma „Ritter“ eingezeichnet waren. Sie erklärte, dass es sich dabei nur um die rekonstruierbaren Schussbahnen handeln würde.

Frau Peterhans stellte sich und ihre Zuträger demnach unglaublich unfähig hin. Natürlich ist es Unsinn, dass die übrigen Schussbahnen angeblich nicht hätten nachvollzogen werden können. Es fragte aber niemand nach, warum dies trotz ausgezeichneter Spurenlagen, den verlässlichen (…) Polizeizeugen, den Videos und dank modernster Vermessungstechnik nicht funktioniert haben soll. Denn es bedeutet ja offensichtlich, dass es unlösbare Schwierigkeiten gegeben haben muss, die Spurenlage mit der erzählten Polizeigeschichte deckungsgleich zu bekommen.

Genau so ist es auch. Also wurden sie vor Gericht gleich ganz weggelassen.

Doch wie verhielt es sich mit dem Polizeihubschrauber, der die ganze Zeit über dem Gelände geschwebt und das Szenario mit einer Kamera aufgezeichnet hatte?

KHK Lottmann:

„Das Video vom Hubschrauber ist wegen der großen Entfernung nicht auswertbar.“

Was für ein Pech aber auch! Mit diesem Video hätte man großartig aufklären können, aber stattdessen auch hier menschliches und technisches Unvermögen. Und zwar derartig konsequent, dass nicht etwa nur Teile des Bandes angeblich unbrauchbar sein würden, hier und da etwas schlecht zu erkennen sei, nein, gleich das vollständige Band sei „nicht auswertbar“.

Doch es war die eigene Behörde von KHK Lottmann gewesen, die Polizei, die seinerzeit dem FOCUS-Redakteur Schattauer mit Sequenzen (bzw. deren Inhalt in Textform) aus diesem Hubschraubervideo „gefüttert“ hatte – wenn auch unter Ausschluss des Finales. Über dessen Publikation hatte die Polizei noch behauptet, dass der Hubschrauber mit seiner Zoom-Kamera bzw. dessen Besatzung so einiges im Bild gehabt hatte. Nur zum entscheidenden Zeitpunkt, ausgerechnet, mit dem Beginn der Parkplatz-Szene, sollen sie leider-leider-leider weggeschaut haben (oder weggeflogen sein).

Dieses Video, wie andere auch, soll ganz offensichtlich niemand zu sehen bekommen. Und wer weiß, vielleicht wurde es bereits „aus Versehen“ vernichtet.

Wie es um offenbar lästige Beweise bestellt ist, wurde auch noch an ganz anderer Stelle deutlich. Rechtsanwalt Gorka fragte nach einem äußerst relevanten Detail.

RA Gorka:

„Tim beging Selbstmord. Haben Sie das dazugehörige Projektil gefunden?“

KHK Lottmann:

„Der Täter hat ja an dieser Stelle mehrfach geschossen. Das Projektil wäre nicht unterscheidbar gewesen von den anderen. Eventuell wurde es bei der Obduktion sichergestellt.“

RA Gorka:

„Wurde es nicht.“

Hierzu sollte jeglicher Kommentar überflüssig sein für alle Leser, die in der Lage sind, Äpfel von Bananen zu unterscheiden.

Für alle Übrigen sei hier noch einmal in Erinnerung gerufen, dass es sich bei der tödlichen Kopfverletzung des Tim Kretschmer um einen Durchschuss gehandelt hatte. Dieses Projektil sollte folglich als einziges seiner Geschosse hinter ihm in die Fassade eingeschlagen sein.

Die Bewertung der Reaktion des KHK Lottmann möchten wir aber allen Lesern selbst überlassen.

Dazu passte auch die Ausführung des gerichtsmedizinischen Sachverständigen Prof. Wehner.

Prof. Wehner erklärte am 6. Prozesstag (5.10.2010) vor Gericht, dass er die Obduktion an der Leiche von Tim Kretschmer durchgeführt habe. Der Kopf-Durchschuss wäre etwa in der Mitte der Stirn erfolgt, leicht nach links außen versetzt. Der Schusskanal wäre außerdem fast horizontal verlaufen. Austritt des Projektils am Hinterkopf, leicht links der Mittellinie. Die Schusswunde bezeichnete er als einen aufgesetzten Nahschuss mit einer sternenförmig aufgeplatzten Wunde und einer Schmauchhöhle unter der Haut.

Es hat sich demnach um einen „sauberen“ Schuss gehandelt, mittig in die Stirn und horizontal durch den Kopf. Das Beste kam aber zum Schluß seines Vortrages.

Prof. Wehner:

„Dies ist typisch suizidal.“

Es ist aber nicht „typisch suizidal“, sondern richtig falsch, was der Herr Wehner behauptete. Jeder Interessierte kann sich schnell innerhalb diverser Studien zum Thema Selbstmord davon überzeugen, dass ein Schuss in die Stirn nur mit rund 5% der Suizide mit einer Schusswaffe statistisch erfasst ist. Andersherum: zu 95% werden auf diese Weise keine Selbstmorde mit einer Pistole verübt.

Warum, Herr Wehner?

Und was war mit den Händen von Tim Kretschmer? Nach 113 Schuss sollten die Schmauchspuren von dem Pulverdampf nicht zu übersehen gewesen sein? Richtig dreckig muss die Schusshand gewesen sein, so ganz ohne Handschuhe. Und ohne die Gelegenheit einer Handwäsche.

Bei dem Finale in Wendlingen scheint einiges zusammengekommen zu sein:

Da fielen Schüsse aus einer Polizei-MP, die aber mit ganz anderen Spuren verknüpft wurden, die es wiederum nicht geben sollte; da gab es einen Handy-Filmer, der auch vor Gericht anonym blieb; da gab es eine leichtfüßige Person auf einem groben Video, welcher der schwer verletzte Tim Kretschmer sein sollte; da gab es Polizisten, die in die Situation hineingefahren sind, während andere aber von Kollegen davon zurückgehalten worden sind; da gab es ein Polizeifahrzeug, welches in der polizeilichen Darstellung nicht existiert; da gab es ein Hubschrauber-Video, das alles aufgezeichnet hatte, dann aber als unbrauchbar erklärt wurde; da gab es eine Tatwaffe auf der Brust der Leiche von Tim Kretschmer, die sich nach einem Selbstmord dort hätte niemals befinden dürfen.

Das war noch nicht alles.

Der Ermittlungsführer des angeblichen Amokfalles, KOK Neumann, berichtete während des 5. Prozesstages (30.9.2010) dem Gericht, in welcher Kleidung Tim Kretschmer aufgefunden wurde.

Da sprach er von dessen Jeans-Hose, die an beiden Beinen einen Defekt im Bereich der Waden aufgewiesen hätte. Und er redete auch von den Schuhen, die im Fersenbereich blutig gewesen wären. Neumann erklärte, dass die Beschädigungen an der Hose und den Socken mit den Schussverletzungen in Einklang zu bringen seien.

Tim Kretschmer habe außerdem eine Jacke einer bestimmten Marke mit vier Taschen vorne und innen getragen. Diese sei unbeschädigt gewesen, doch habe man Blut am Schulterbereich, Kragen sowie an den Ärmeln gefunden. Unter dieser Jacke habe Tim ein blaues T-Shirt mit einem Aufdruck getragen, welches blutbehaftet gewesen sei. Und darüber ein anthrazit-rot-weiß-gestreiftes Herrenhemd, welches sogar stark blutbehaftet gewesen wäre. Dieses Hemd wäre außerdem beschädigt gewesen und habe einen 5 cm langen Einriss am rechten Ellenbogen aufgewiesen.

Was KOK Neumann vor Gericht geschildert hat, ist wirklich interessant.

Da soll sich ein Junge sitzend und von vorne in den Kopf geschossen haben, doch ist sein Hemd mit Blut durchtränkt.

Oder anders: der Junge erschießt sich von vorne mitten in die Stirn und fällt sofort nach hinten um, aber sein Hemd ist vorne mit Blut durchtränkt.

Eine Varitaion wäre auch folgende: der Junge liegt mit dem Rücken auf dem Boden und das Blut strömt aus der großen Wunde am Hinterkopf. Sein Hemd ist mit Blut durchtränkt.

Noch ein letztes Beispiel? Die Jacke weist Blutspuren am Kragen und am Schulterbereich auf, da sich die Blutlache unter dem Hinterkopf bildete. Aber das Hemd ist mit Blut durchtränkt.

Das sollte verständlich genug sein.

Niemand im Gerichtssaal hat danach gefragt. Niemand hatte gefragt, woher das viele Blut auf dem Hemd kam, wie und vom wem. Und warum die Jacke davon nicht betroffen war. Und ob nicht vielleicht Kleidungsstücke von zwei verschiedenen Ereignissen an einer Person vorgefunden wurden. Denn aus der Stirn kann dieses Blut nicht gekommen sein, zum einen durch den Gewebeschock und der sofortigen Rückwärtsbewegung, zum anderen durch die Verbrennung aufgrund der Mündungsflamme.

Außerdem: woher stammte der Einriß am Ärmel des Hemdes? Und warum wurden keine Blutspuren an der Hose angeführt?


Waffe und Munition


Mit der Liebe zum Detail gleich zum nächsten Fundstück vom 4. Prozesstag (28.9.2010), vorgetragen durch KOK Neumann.

Bei Tim Ketschmer wurde ein Pistolen-Magazin gefunden, welches nicht seinem Vater gehörte. Die Herkunft konnte angeblich nicht ermittelt werden. Außerdem wurde neben der Leiche eine volle Munitionsschachtel festgestellt. In dieser Befand sich ein Patronenständer aus Kunststoff sowie 50 Patronen zweier Munitionssorten, die aber nicht original der Verpackung zugehörten, sondern umgepackt worden waren.

Eine volle Munitionspackung neben der Leiche, nicht etwa in der Jackentasche. Soll diese Tim Kretschmer verloren haben? Herausgefallen aus den tiefen Taschen seiner Jacke? Im Stehen? Im Sitzen? Im Liegen? Hatte er sie benutzt? Nein. Hatte er sie benutzen wollen? Aber wozu? Das Magazin in der Pistole war gefüllt und er benötigte angeblich nur noch eine Patrone für sich selbst.

KHK Uwe Reiber vom LKA berichtete am 14. Prozesstag (23.11.2010) als Waffensachverständiger dem Gericht über die Waffe, die aufgefundene Munition und auch die Projektile. So soll man bei der Untersuchung der angeblichen Tatwaffe festgestellt haben, dass sich noch Waffenöl im Lauf befand. Dies allerdings unter dem Aspekt, dass durch eben diesen Lauf 113 (!) Schüsse abgegeben worden sein sollen.

Von den 285 Stück angeblicher Tätermunition waren 121 Patronen des Typs S&B 9mm Luger ohne den roten Dichtungslack. Die Herkunft dieser Patronen, die eine erhebliche Menge der Gesamtmunition ausmachen, konnte ebenfalls nicht ermittelt werden. Die Anklage behauptete zwar, dass Tim Kretschmer die gesamte Munition seinem Vater entwendet habe (bzw. haben müsste), kann es aber nicht beweisen.

KHK Reiber gab selbst an, dass dieser Patronentyp im Gegensatz zu den übrigen Patronen im Besitz des Vaters Jörg Kretschmer nicht festgestellt werden konnte. Es handelt sich somit um fremde Munition. Dagegen konnte im Haus der Kretschmers der Munitionstyp S&B 9mm Luger mit einem roten Dichtungslack vorgefunden werden. Das Magazin der Beretta hatte Jörg Kretschmer mit 10 Patronen dieses Typs geladen gehabt. Die restlichen 40 Patronen aus dieser Schachtel hatten die mit der Durchsuchung beauftragten Polizeibeamten noch im Schlafzimmer vorgefunden.

Diese 10 S&B 9mm Luger mit roten Dichtungslack wurden aber an keinem Tatort aufgefunden.

Obwohl das Magazin der vermeintlichen Tatwaffe mit dieser Munition geladen gewesen war. Da diese aber nicht verschossen worden sind, müssen sie folglich ausgetauscht worden sein. Dies ist aber nicht nur sinnlos, diese Patronen sind auch noch verschwunden. Und angeblich soll sich Tim Kretschmer die Waffe erst am Morgen des Tattages beschafft haben.

Es handelt sich hierbei um weitere Hinweise für Manipulationen. Sie erhärten den Verdacht, dass es sich bei der Pistole der Marke Beretta samt Magazin aus dem Besitz des Jörg Kretschmer nicht um die Tatwaffe handelt.

Der Waffensachverständige KHK Reiber berichtete dem Gericht außerdem, dass er von den Tatorten (Winnnden/Schule, Winnenden/Park, Wendlingen) insgesamt 79 Projektile zur Untersuchung erhalten habe. Von diesen 79 Projektilen wären 7 Stück als Polizeimunition identifiziert worden.

Hier sollte sich der Leser klar darüber werden, dass laut den polizeilichen Angaben immerhin 113 Projektile an Tätermunition sowie 13 Stück an Polizeimunition existieren sollten. Von diesen 126 Projektilen sollen demnach 47 Stück angeblich nicht auffindbar gewesen sein, was mal eben rund ein Drittel der Gesamtmenge ausmacht.

Die 113 Stück an Tätermunition schlüsseln sich auf in 58 Stück in der ARS, 9 Stück im Park sowie 46 Stück in Wendlingen. KHK Reiber hatte den eigenen Angaben nach folglich nur 72 Projektile der Tätermunition erhalten - und 40 Stück nicht. Nachvollziehbar schwierig dürfte das Auffinden der 12 Projektile sein, welche durch die Glasfassade von „Hahn“ geschossen wurden. Hinzu kämen die 7 Schüsse, die der vermeintliche Täter angeblich auf dem Parkplatz vor der Firma „Ritter“ in die Luft geschossen hatte.

Allerdings ist nach dem vorliegenden Material nicht genau zu eruieren, welche Opfer wieviele Steckschüsse davongetragen hatten. Da bekanntlich nur eine „Inspizierung“ stattgefunden haben soll und keine Beweise sichernde Obduktion, besteht die Möglichkeit, dass diese Projektile in den Körpern der Opfer belassen worden sind. Deren genaue Anzahl ist uns nicht bekannt.

Diese Rechnung bleibt somit unvollständig. Abzüglich der oben genannten Projektile, bei denen das Auffinden einige Schwierigkeiten verursacht haben dürfte, hätten fast alle anderen gesichert werden können - wenn man es gewollt hätte. Denn die meisten Tätergeschosse wurden in Räumlichkeiten oder geschlossenen Arealen abgefeuert.

Es sollen auch nur 7 Projektile der Polizeimunition auffindbar gewesen sein. In diesem Fall lässt sich die Unglaubwürdigkeit schneller überprüfen - natürlich gemäß der Polizeiversion: 5 Schüsse aus der MP des Beamten Dürr sollten leicht in der Fassade der Firma „Ritter“ und in Fahrzeugen feststellbar sein. Dazu zwei Projektile aus den Beinen von Tim Kretschmer. Zählt man noch die von der Spurensicherung festgestellten 3 Schusslöcher bei der Firma „Langer Logistik“ (Fassade und Fahrzeug) hinzu, hätten wir bei oberflächlicher Betrachtung bereits 10 Projektile gefunden. Sie hätten nur noch geborgen werden müssen.

Offenbar ist das Nichtauffinden bestimmter Projektile weder dem Zufall noch dem Unvermögen Einzelner überlassen worden.


Die DNA-Analyse


Zum Schluß sollen hier noch die Erkenntnisse der Diplom-Biologin Frau Dr. rer. nat. Dosa vom LKA erwähnt werden, die während des 11. Prozesstages (28.10.2010) als Sachverständige zur DNA-Untersuchung vor dem Gericht referierte.

Eine leere Schachtel des Munitionstyps Magtech aus dem VW Sharan (des Igor Wolf) habe ebenso wenig ein Ergebnis erbracht wie die dort vorgefundene Messerhülle.

Die 50 (!, siehe oben) Patronenhülsen, die Frau Dr. Dosa aus dem Inneren des Autohauses „Hahn“ erhalten haben will, seien ohne Befund gewesen. Auch an den 88 Patronen, die sich in der Brusttasche von Tim Kretschmer befunden haben sollen, wären keine DNA-Spuren gewesen. Keine Ergebnisse auch bei den 12 Patronen, die sich im Pistolen-Magazin befunden haben sollen. Kein Befund an den beiden Pistolenmagazinen. Ebenfalls keine Spuren an den Hülsen, die auf dem kleinen Parkplatz vor der Firma „Ritter“ gelegen wären.

Die Hülsen vom Parkplatz wurden von Frau Dr. Dosa interessanterweise in zwei Gruppen geteilt. Die eine beinhaltete 4 Hülsen, die andere 7 Hülsen. Der Grund für diese Einteilung wurde nicht genannt.

Befunde sollen sich nur an der Patronen-Pappschachtel, die neben Tim Kretschmer gelegen sei, an einem Patronenständer innerhalb dieser Schachtel, an einem Holster sowie an der Pistole ergeben haben.

Im Einzelnen: an der Schachtel und am Patronenständer hätten sich Mischspuren an der Nachweisgrenze befunden, die nicht zweifelsfrei zugeordnet werden konnten. Jedoch mit Merkmalen von Tim Kretschmer durchgängig. (Von den Patronen selbst war nie die Rede). An dem Holster sei eine vollständige DNA von Tim festgestellt worden. Und an der Pistole konnte er anhand mehrerer Spuren nachgewisen werden.

Bei der Waffe musste Frau Dr. Dosa allerdings insofern einschränken, dass die Pistole stark mit „Blutstaub“ verunreinigt gewesen sei und sie daher nicht ausschließen konnte, das bei der Untersuchung auch Blut aufgenommen wurde.

Unterm Strich hat die Beweisaufnahme per DNA-Analyse am Tatort Wendlingen weniger ergeben, als man vielleicht hätte erwarten dürfen.

Gleichzeitig erstaunt es, dass diese Beweisführung ausschließlich auf DNA-Basis geführt und nicht etwa durch die Sicherung von Fingerabdrücken ergänzt wurde. Von denen hätten sich jede Menge finden lassen müssen, da Tim Kretschmer keine Handschuhe getragen hatte. Warum war dies also kein Thema? Zumal die DNA-Analyse äußerst mickrig ausgefallen war. Diese ergänzende Untersuchung hätte nämlich auch die Wahrscheinlichkeit verringert, dass unbeabsichtigt oder auch beabsichtigt DNA-Spuren an Orte gelangt sein könnten, die es dort zuvor nicht gegeben hatte.

Es fällt auch auf, dass die Untersuchung des VW Sharan von Igor Wolf kein Thema war. Obwohl dieses Fahrzeug das Bindeglied zwischen den Tatorten Winnenden und Wendlingen bedeutet und dieser Vorgang nur auf einer einzigen Zeugenaussage beruht, die ihrerseits nicht bezeugt werden konnte.

DNA von Tim Kretschmer soll an dem Holster festgestellt worden sein. Hierbei wiederum handelt es sich um ein Teil unbekannter Herkunft, wie schon das fremde zweite Magazin sowie 121 Stück Munition.

Der Fund von Spuren an der Pistole, die Tim Kretschmer nachweisen, ist keine Sensation, denn diese hatte er vormals auf dem Schießstand benutzt. Mit anderen Worten: dieser Befund besagt nichts zu den Taten in Wendlingen.

Außerdem überrascht es, an keiner einzigen Patrone bzw. Patronenhülse eine Spur von Tim gefunden zu haben. Bei den ihm zugesprochenen Taten sollte er sie alle in den Händen gehabt haben. Das trifft natürlich besonders auf die benutzten Patronen zu, die er sämtlich einzeln in die Magazine gedrückt haben sollte. Insofern ist dieser Nullbefund unbegreiflich. Selbst unter dem Aspekt, dass der feine Fettfilm auf den Patronen die Fingerabdrücke verwischen könnte, hätte eine Untersuchung außerhalb der DNA-Analyse Aufschluß geben können. Das scheint aber nicht geschehen zu sein.

Womit hat man es hier zu tun? Fahrlässigkeit?

Dass dieser Befund bzw. Nichtbefund mit äußerster Skepsis zu betrachten sein sollte, wird anhand eines weiteren Umstandes deutlich.

Wie wir von der Polizei erfahren haben, soll Tim Kretschmer zweimal in die Beine geschossen worden sein. Er habe einen großen Blutfleck und auch Blutspuren hinterlassen. Auch haben wir erfahren, dass sein Hemd und sein T-Shirt - aus welchen unerfindlichen Gründen auch immer - stark blutbehaftet gewesen sein sollen.

Was macht man dann als Verletzter? Bei sich nachschauen, was mit den einzelnen Körperteilen geschehen ist? Die Wunden untersuchen? Vielleicht sogar versuchen, die Blutungen zu stillen, die Wunde abzubinden? Klingt alles normal, klingt vernünftig, klingt auch instinktiv.

Soll aber nicht so gewesen sein. Überall Blut an Tim Kretschmer. Nur nicht an seinen Händen, die müssen ganz sauber gewesen sein. Denn sonst wären auch Blutspuren und somit seine DNA an den Hülsen (und an beiden Magazinen) nachweisbar gewesen. Denn Tim soll ja noch fleißig geschossen haben. Und nachgeladen. Und das Magazin gewechselt.

Oder?


Kurz-Fazit


In dem Verfahren gegen Jörg Kretschmer hatte nicht die Feststellung der Täterschaft seines Sohnes zur Debatte gestanden. Diese wurde vorausgesetzt, auch wenn dies vor keinem Gericht erwiesen wurde. Denn der vermeintliche Täter hatte sich einer Verantwortung durch einen angeblichen Suizid entzogen.

Doch wurden in dem Verfahren gegen den Vater einige Details bekannt, die zuvor nie veröffentlicht worden sind. Diese Details, Neuigkeiten und auch Änderungen der bisherigen offiziellen Angaben haben allerdings nicht dazu beigetragen, mehr Licht in dieses Schwerstverbrechen zu bringen. Es ist sogar das Gegenteil der Fall, was vor allem den Tatort in Wendlingen betrifft.

Hier gibt es Beweise und zahllose Indizien, dass der Ablauf der Ereignisse, wie er von der Polizei dargestellt wird, vollkommen falsch - und gelogen - ist. Wir wissen nicht, was damals, am 11. März 2009, in Wendlingen geschehen ist. Wir können aber erkennen, dass die Behörden dieses Geschehen vertuschen und die Verantwortlichen decken, wenn nicht sogar Elemente von ihnen in diesen Mordfall direkt involviert sind.

Es herrscht Aufklärungsbedarf, ohne jegliche Einschränkung. Denn der Doppelmord im IG Wert sowie der angebliche Selbstmord des vermeintlichen Täters stehen in einem direkten Zusammenhang zu dem Massaker in Winnenden.

Zuletzt geändert: 27/07/2022 14:40