Teil 2.4 - Wendlingen

(Autor: Rüdiger Rohde)

F. Das Ende.


Die Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Stuttgart und der Polizeidirektion Waiblingen vom 4. April 2009 endet in der bis dato gültigen Version wie folgt:

„Weitere Schüsse wurden von Tim K. in Richtung Firmengebäude einer Metallfirma abgegeben, als ein Beschäftigter die Türe verschließen wollte.

In dieser Situation wurden mehrere Schüsse von einem der Einsatzkräfte auf den Täter abgegeben, wobei dieser nicht getroffen wurde, da er sich hinter parkenden Autos bewegte. Kurz danach setzte sich der Täter auf den Boden und tötete sich selbst.“

Das war’s gewesen. Oder vielmehr: das soll es gewesen sein.

Das schnelle und trostlose Ende des angeblichen Amokläufers hatte am 11. März bei den Behörden und den Medien noch anders geklungen. Da hatte es noch geheißen, dass der Täter von der Polizei erschossen wurde, wie sogar durch die Polizeisprecher live (z.B. auf N24) bestätigt wurde, dann wieder nicht, in sich überschlagender Eile.

Beispielsweise SPIEGEL-Online hatte noch später in seinem „Protokoll“ die Mitteilung stehen, dass die Polizei um 13.27 Uhr mitgeteilt habe, dass der 17-jährige Tim K. erschossen worden sei. Erst um 17.20 Uhr wurde gemeldet, dass eine Polizeisprecherin mitgeteilt habe, dass sich der Amokläufer von Winnenden nach neuesten Erkenntnissen wohl doch selbst umgebracht habe.

100%ig sicher schien man sich aber noch nicht gewesen zu sein. Erst am folgenden Tag, am 12. März, wurde diese Information von der Staatsanwaltschaft Stuttgart bekannt gegeben: ja, der Täter habe sich selbst in den Kopf geschossen.

Es fällt auf, dass dieser Bericht in der Pressemitteilung geradezu dünn wirkt. Details sind fast keine vorhanden. Man hat den Eindruck, dass kaum noch etwas geschehen war. Ja, und auf einmal war der vermeintliche Täter plötzlich tot. So, als wäre dies eine Überraschung gewesen.

Und gesehen hatte es offenbar auch niemand. Jedenfalls nicht die in der Nähe befindliche Polizei. Denn man habe den – angeblichen – Täter tot „aufgefunden“ , wie die Polizei im TV und in den Printmedien immer wieder zitiert wurde.

In der ersten Presseerklärung vom 12. März hatte es immerhin noch geheißen, dass Zeugen, auf die der angebliche Täter zuvor noch geschossen haben soll, beobachtet hätten, wie sich der Schütze schließlich selbst in den Kopf geschossen habe.

Die Polizei dagegen muss anscheinend kollektiv weggeschaut haben.

BBV-net zitierte am 12. März den Polizeidirektor Esslingen, Wolf-Dieter Wagner:

„Es gibt zwei Augenzeugen, die gesehen haben, wie der junge Mann das Magazin seiner Waffe gewechselt und sich dann erschossen hat. Das kann ich bestätigen.“

Welche Zeugen sollen dies gewesen sein? Dazu später mehr.

Als ein Beispiel mag hier der Artikel des „Südkuriers“ vom 12. März 2009 dienen, der sich auf die Polizeiangaben stützte:

„Als Tim K. aus dem Autohaus kommt, eröffnet er das Feuer auf die inzwischen eingetroffenen Polizisten, schießt „auf alles, was für ihn sichtbar ist“, wie der Polizeipräsident später erzählt. „Eine Zivilstreife hat Glück. Zwei Beamte der Polizeidirektion Esslingen werden beim Schusswechsel schwer durch fünf Einschüsse verletzt. Tim K. versucht zwischen den herumstehenden Autos zu fliehen. Die Polizei verliert den Blickkontakt, hört nur wie eine Pistole geladen wird. Kurz darauf wird Tim K. an einer Hauswand tot aufgefunden. Da ist es 12.30 Uhr.“

Hier ist zu diesem Zeitpunkt natürlich noch von der 1. Version des Tatablaufs laut Polizei die Rede. Alle genannten Details sind nachweislich falsch. Interessant ist hier die Ansicht, dass die Polizei angeblich den Blickkontakt zum vermeintlichen Täter verloren habe. Und dies sogar trotz eines Polizei-Hubschraubers genau über dem Tatort. Viele Minuten müssen es gewesen sein, und das, obwohl Letzterer laut Handy-Video auf dem Parkplatz herumgelaufen war, ohne in Deckung zu gehen. Das Hören eines Nachladevorgangs dürfte der Phantasie des Redakteurs entsprungen sein. Es wird sich außerdem noch zeigen, dass es zu diesem Zeitpunkt keinen Nachladevorgang gegeben hat.

Und auf die Uhr hatte möglicherweise auch niemand geschaut. Die Behörden, die woanders in der Lage waren, präzise Zeitangaben zu liefern, taten sich hier schwer. So gegen 12.30 Uhr soll es gewesen sein, als der angebliche Amokläufer zu Tode kam. (Das „Ende“ schätzte ein DPD-Mitarbeiter übrigens auf 12.40 Uhr).

Man muss annehmen, dass die genaue Uhrzeit absichtlich nicht bekannt gegeben wird. Um sich die Option auf eine Zeitkorrektur zu bewahren?

Aber selbst die Zeitangabe von etwa 12.30 Uhr lässt sofort eine Frage zu: Was war eigentlich in der Zeit von 12.20 und 12.21 Uhr, ab dem Zeitpunkt der Hubschraubersichtung, bis rund 12.30 Uhr passiert? Wir sprechen hier von immerhin rund 9 Minuten.

9 Minuten für 40 Meter?

9 Minuten, in denen nichts geschehen ist? Oder geschehen sein soll?

Das ist eine bedenkliche Zeitlücke, die von der Polizei nicht erklärt wird.

9 Minuten lang nur ein Nichts.

Und angeblich nicht einmal mehr das Hubschraubergedröhne, denn der Polizeihelikopter soll sich ja genau zu diesem Zeitpunkt wegbewegt haben. Um sich… ja, was anzusehen?

Der FOCUS vom 6. April 2009 ist die einzige Quelle, welche einen Polizeibericht über eine Schussabgabe auf den Täter zitiert:

„In dieser Situation wurden fünf Schüsse aus einer MP auf den Täter abgefeuert, wobei dieser nicht getroffen wurde.“

Das muss die eine polizeiliche „Einsatzkraft“ gewesen sein, von der in der oben zitierten Pressemitteilung die Rede ist.

Das bedeutet also, dass die Polizei doch etwas in dieser Zeit gemacht hat. Kurioserweise scheint offiziell immer nur ein Polizist pro Schauplatz auf den gestellten bzw. umzingelten (vermeintlichen) Täter hat schießen dürfen. Ganze 5mal in den besagten 9 Minuten auf diesen doch so gemeingefährlichen Täter. Getroffen hatte er nicht, richtig, der angebliche Täter hatte sich ja dummerweise bewegt. Und dies sogar noch hinter den geparkten Fahrzeugen.

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Man braucht sich aber nicht großartig anzustrengen, um die Polizeiaussage als hohles Gewäsch zu entlarven. Richtig, zwischen dem Parkplatz der Firma „Ritter-Aluminium“ und der Straße befanden sich eine Reihe abgestellter PKWs. In Richtung Autohaus Hahn befand sich dagegen gar nichts. Keine Deckung. Wo war denn dort die Polizei abgeblieben? Was hatte diese dort eigentlich die ganze Zeit gemacht? Etwa immer noch das Autohaus von vorne belagert?

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Keine Deckung für die Person auf dem Parkplatz in Richtung Autohaus. Dafür reichlich Deckung, um sich von dort dem Parkplatz anzunähern und diesen im Blick zu haben. Das soll angeblich nicht geschehen sein.

Es würde weitere sehr unangenehme Fragen aufwerfen.
Und was zeigte das Handy-Video? Es zeigt, dass der Mann auf dem Parkplatz diese abgestellten Fahrzeuge gar nicht als Deckung verwendet hatte. Und bewegt hatte er sich auch nicht sonderlich schnell.

Auch für diese kleine Sequenz gilt: die Öffentlichkeit wird für dumm verkauft, und zwar ganz dreist.

Die Schüsse aus der vom FOCUS genannten Maschinenpistole müssen als Fehlschüsse natürlich irgendwo abgeblieben sein. An der Wand von „Ritter-Aluminium“ sind im mittleren Bereich Beschussspuren vorhanden, welche von der Spurensicherung die Nummern 71, 70 und 69 erhalten hatten.

Bei den Löchern 71 und 69 handelt es sich dabei um schräge Einschüsse, bei der Spur 70 um ein im spitzen Winkel eingeschlagenes und abgelenktes Geschoß. Unterhalb des Einschusses Spur 71 wurden Beschädigungen am Mauerwerk festgestellt.

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Spuren Nr. 71 und 70 an der Wand.

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Noch einmal die Spuren 71 und 70 (neben weiteren).

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Spur 71.

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Spur 71, Detail.

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Beschädigung an der Mauer unterhalb des Einschusses 71.

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Spur Nr. 70.

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Spur 70, Detail. Das Geschoss ist in einem spitzen Winkel eingeschlagen und abgeprallt.

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Spur 69.

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Spur 69, Detail.

Der Einschusswinkel dürfte etwa 45 Grad betragen haben, eher noch spitzwinkliger. Folglich muss der Polizeischütze an der Ecke des Vorbaus vorbei und ganz knapp zwischen die abgestellten Fahrzeuge geschossen haben. Über die Fahrzeuge hinweg ist zumindest bei Spur 71 und 70 nicht möglich.

Da Tim Kretschmer durch einen Kopfdurchschuß starb, müsste das Projektil hinter ihm zu finden sein. Von den vorhandenen Beschussspuren käme dafür die Spur 71 in Betracht.

Der für die Spur Nr. 70 verantwortliche Schütze dürfte sich in etwa in der Diagonale zum VW-Touran befunden haben bzw. entsprechend rückwärts versetzt auf der gegenüberliegenden Straßenseite im Bereich eines dichten Busches.

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Die Schüsse in Richtung Parkplatz können nur durch einen ganz schmalen Korridor abgegeben worden sein. Sicherlich nicht zufällig aus jener Richtung, wie die Schüsse, die auch den VW-Touran beschädigten. Nebenbei fällt auf, dass aus Richtung Autohaus Hahn und den dort viel besser platzierten Polizisten keine Schusswirkung zu entdecken ist. Es sei denn, sie wären für die Schusswirkung im Vorbau von „Ritter-Aluminium“ verantwortlich. Dem widerspricht die Polizei allerdings, indem sie behauptet, dass dieser Vorbau vom vermeintlichen Täter beschossen worden wäre. Sie bestätigt hiermit indirekt die Inaktivität ihrer Beamten von dieser Seite.

Es dürfte nur ein schmaler Korridor für eine halbwegs freie Schussbahn bestanden haben, um die beobachtete Schusswirkung zu erreichen. In diesem Korridor befand sich nicht zufällig auch der am Fahrbahnrand geparkte VW-Touran.

Hier das genannte Gebüsch.

Und hier der Blick vom Gebüsch aus auf den Parkplatzbereich der Firma „Ritter-Aluminium“. Es macht die Schwierigkeit deutlich, von hier aus die markierten Schussspuren an der Fassade zu verursachen. Das größere graue Fahrzeug in Bildmitte hatte sich aber am 11. März 2009 an einer anderen Stelle befunden. Vor dem rötlichen Fahrzeug hatte damals der VW-Touran geparkt.

Es könnte nun vermutet werden, dass ein Feuerstoß aus einer Maschinenpistole einerseits den VW-Touran durchlöchert, andererseits spärliche Beschussspuren an der Fassade von „Aluminium-Ritter“ hinterlassen hat.

Dem ist aber nicht so, denn die Einschüsse im Heck des Touran erfolgten aus einer stehenden, wenn nicht gar aus einer leicht erhöhten Position heraus.

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Wir wissen nicht, ob ein und derselbe Schütze die Löcher im Touran und in der Fassade verursacht hat. Natürlich könnte dieser zuerst gestanden und dann gelegen sein und umgekehrt. Es ist aber nicht auszuschließen, dass für die Heckschüsse in den Touran ein weiterer Polizist verantwortlich ist.

Noch dazu müssen wir nach dem derzeitigen Kenntnisstand davon ausgehen, dass die Schüsse auf den Touran mit den dahinter aufgefundenen Patronenhülsen in Beziehung zu setzen sind und wir eine eigene Situation vor uns sehen. Daher erschien uns die Entfernung für einen Schusswechsel einfach zu kurz.

So versuchten wir, einen weiteren Standort für einen Polizeischützen auszuforschen, der ebenfalls die oben genannte Schussschneise verwendet haben könnte.

Es kommt dafür das äußere Eck des Daches von „Festool“ in Frage, von wo aus - von einigen Bäumen abgesehen - die Sicht auf den Parkplatz vor „Ritter-Aluminium“ frei gewesen wäre. Dieses Dach ist sogar mit einer erhöhten Blende versehen, die eine dortige Annäherung nicht sofort verraten hätte.

Allerdings erklärt dieser Standort nicht die rätselhafte diagonale Schusswirkung. Denn es hätte auf dem Dach ein ganzes Aufgebot von Scharfschützen Platz gefunden, und zwar genau gegenüber. Warum ist dies nicht geschehen? Es scheint keinen Sinn zu machen, ein ganzes Dach zur Verfügung zu haben, dann aber die schlechteste Position darauf einzunehmen.

Jeder Polizist hätte frontal auf dem Dach die Kontrolle gehabt. Mit einer besseren Waffe, mit einer viel besseren Position, mit einer entsprechenden Ausbildung, mit Unterstützung der Kollegen von den Seiten und und und… Es hätte auch einen psychologischen Eindruck gemacht.

Mit Blick auf das Handy-Video vom Parkplatz dürfte auch der vermeintliche Täter nichts dergleichen registriert haben.

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Zwischen „Festool“ und dem „Autohaus Käser“ befindet sich eine kleine Anlage der Wasserwerke, bestehend aus einem Flachbau und einem kleinen Turm. Dieser Bereich kommt ebenfalls als Position des Schützen in Frage. Dieser muss dann allerdings ein Gewehr mit Zieloptik besessen haben.

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Das Flachdach des Wartungshäuschen war ebenfalls mit einer etwas erhöhten Blende umgeben, doch schien die flachere Sicht auf den Parkplatz aufgrund der Büsche etwas schwierig. Der Blick von Turm dagegen entspricht schon sehr der von uns ermittelten Schusslinie auf das Heck des VW-Touran, aber auch auf den hinteren Bereich der Fassade von „Ritter-Aluminium“.

Im TV deutete Frau Käser in diese Richtung und sagte, dass dort „irgendetwas“ gewesen sei.

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Blick vom Turm auf das Autohaus Käser.

Es ist derzeit allerdings völlig schleierhaft, wie die Beschussspur mit der Markierung 70, in etwa 140 cm Höhe , zustande gekommen sein soll. Da alle genannten Schussspuren in der Fassade von „Ritter-Aluminium“ nicht aus einer erhöhten Position entstanden sind, hätten sich abgestellte PKWs auf dem Parkplatz genau in Schusslinie befunden.

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Bei dem als Spur 67 markierten Loch in der Wand scheint es sich eher um eine Beschädigung durch einen aufgeprallten Querschläger gehandelt zu haben.

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Spur 67 befindet sich auf dem Bild links in der Wand.

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Spur 67, Detail.

Da die Polizei über den „FOCUS“ von 5 abgegebenen Schüssen berichtete, fehlen allerdings drei Aufschlagsorte für die Geschosse. Diese konnten bislang nicht aufgefunden werden. Allerdings sind die polizeilichen Angaben über die abgegebenen Schüsse ohnehin nicht richtig, wie wir noch feststellen werden (siehe unten).

Festzustellen ist, dass allein nach der Spurenlage im Parkplatzbereich, soweit überhaupt ersichtlich, weder die Polizeiangaben gänzlich nachzuvollziehen sind noch der tatsächliche Vorgang dort eruiert werden kann.

Es ist auch nicht mehr klar, welche Spurenmarkierungen auf dem Parkplatz für die Hülsen und für das Blut gestanden sind. Demzufolge wissen wir nicht, wie viele Hülsen die Spurensicherung an dieser Örtlichkeit vorgefunden hatte. Dazu haben einige Markierungen einen angefügten Kringel mit einem Kreuz in demselben. Eine Anfrage bei der hiesigen Polizei erbachte nur die Antwort, dass es sich um individuelle Markierungen für jeweils eine weitere oder im Zusammenhang stehende Spur handeln würde.

Der vermeintliche Täter soll ja angeblich noch eine ganze Reihe von Schüssen abgegeben haben.

Allerdings stellt sich hier abermals die Frage: wo ist deren Schusswirkung im Einzelnen abgeblieben?

Möglicherweise zwei Schüsse auf den zivilen Polizeiwagen, von denen allerdings nur einer traf. Aber dies ist nicht erwiesen (siehe oben). Dazu ein Loch im Glas bei Festool, allerdings gegenüber dem Hof für Gebrauchtwagen. Ein weiteres Loch fand sich in dieser Fassade allerdings gegenüber „Ritter-Aluminium“, allerdings ohne eine ersichtliche Markierung duch die Spurensicherung. Wurde es übersehen?

Und der Rest?

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Das Loch im Glas bei Festool.

Nach Angaben der Polizei soll der vermeintliche Täter allerdings mehrere Schüsse in Richtung des Vorbaus der Firma „Ritter-Aluminium“ abgegeben haben.

Wie oben dargelegt, ist nicht bewiesen, wer diese Schüsse tatsächlich abgegeben hat. Der exakte Zeitpunkt ist ebenfalls unbekannt.

Dabei handelt es sich um die gekennzeichneten Spuren 64, 65 und 66.

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Spurenlage beim Vorbau der Firma „Aluminium-Ritter“.

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Die Spuren Nr. 65 und 66.

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Spur Nr. 64, Detail.

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Spur 66.

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Spur 65.

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Übersicht der Spurenlage beim Vorbau. Es wurden demnach drei Geschosse in diese Richtung abgegeben. Welche Art von Spuren, Nr. 68 und 63, auf dem Boden markiert worden sind, ist unbekannt. Festzustellen wäre zudem, dass direkt an der Tür keine Markierungen vorgefunden worden sind - und somit keine Spuren.

Eine vollständige Spurenanalyse des Parkplatzes vor Alu-Ritter ist schwierig, weil es bislang unmöglich gewesen ist, die Markierungen bestimmten Funden zuzuordnen. Auch die Systematik der Spurenkennzeichnung hat sich uns bislang noch nicht erschlossen.

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Es scheint erst einmal das Spurenfeld in der Mitte nummeriert worden zu sein. Offenbar beginnend mit der Ziffer 51. (Demnach sollten sich die Ziffern 30 bis 50 im Autohaus Hahn befinden. Allerdings müssen sich innerhalb des Autohauses allein schon 25 Patronenhülsen befunden haben).

Einige kleine Kringel, zum Teil mit dem Symbol „Weiterführende Spur“, wurden nicht nummeriert. Zu finden sind hier die Ziffern 51 bis 58 sowie anscheinend eine weitere, nicht erkennbare.

Die Chronologie setzt sich fort Richtung Vorbau. Zwei einzelne Kringel mit den Nummern 59 und 60. Spur 61 ist nirgendwo zu erkennen.

Dann plötzlich die andere Seite mit den Spuren beim Fahrradständer, die gemeinschaftlich die Zahl 62 erhielten. Und wieder zurück zum Vorbau zu den Spuren 63-66, weiter zur Wand mit der Spur 67 und dem kleinen Kringel, Spur 68, auf dem Boden.

Schließlich die Fassade entlang in Richtung Fahrradständer mit den Spuren 69, 70 und 71.

Ein wenig hin und her; doch die Nummerierungen nahe der Leichenstelle sind derzeit nicht nachvollziehbar. Hier wurde eine andere Nummerierung gesetzt.

Die Ziffer 1 fehlt zwar, die Leichenstelle und der Kringel um den vermutlichen Liegeort der Waffe sind nicht nummeriert oder nicht überliefert (?) worden, aber die weiteren Spuren erhielten die Ziffern 2, 3 mit weiterführender Spur 17, 4 mit weiterführender Spur 20 sowie auf Höhe der Beine die Spur 5 (Blut vom Knöchelschuss?) und die 18. (Hierbei könnte es sich um die angeblich letzte Patronenhülse handeln).

Hier wurde also aus einem für uns nicht ersichtlichen Grund ein anderes System verwendet. Blutspuren, Hülsenlage und Schusswirkungen sind nicht voneinander abzugrenzen.

Überhaupt scheinen die Blutspuren nur an bestimmten Stellen aufgetreten zu sein. Während auf dem Hof der Autohandlung eine fast durchgehende Blutspur auszumachen war, endete diese mit dem Übergang auf das Gelände der Firma „Ritter-Aluminium“. Nach einer freien Fläche war eine Blutspur vor dem Fahrradständer aufgefunden worden, die danach offenbar abermals endete. Im zentralen Spurenfeld scheinen zumindest die größeren Kreise, Spur 51 und 53, einen Hinweis auf Blut zu geben.

Die Umrisse des Leichenfundorts waren nachträglich schlampig und vielleicht auch in der Ausrichtung ungenau auf den Asphalt gemalt worden. Wie bereits erwähnt, könnte das als Spur 71 gekennzeichnete Loch im Fassadenblech durch jenes Projektil entstanden sein, welches den Kopf von Tim Kretschmer durchschlug. Spur 70 in der Mauer des Gebäudefundaments konnte nicht eindeutig in diesen Zusammenhang gesetzt werden, doch erscheint es derzeit auch nicht unmöglich.


Selbstmord?


Niemand wäre wirklich schockiert gewesen, wenn die Polizei einen durchgedrehten Amokläufer erschossen hätte.

Dazu war die Polizei aber angeblich ebenfalls nicht in der Lage gewesen, so dass dies Tim Kretschmer auch noch selbst erledigt haben soll.

Die Staatsanwaltschaft veröffentlichte durch deren Sprecherin am 16./17. März 2009 das vorläufige, wie es heißt, aber gleichzeitig auch endgültige Obduktionsergebnis der Leiche von Tim Kretschmer, denn dieser wurde laut Staatsanwaltschaft nach der Untersuchung zur Bestattung freigegeben. (Zum Beispiel in den Stuttgarter Nachrichten vom 17. März 2009).

Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft wartete vorläufig endgültig mit dem grausigen Detail auf, dass es sich bei Tim Kretschmer um einen Kopfdurchschuss gehandelt habe.

Interessanter war jedoch ihre Aussage, dass es sich um einen Schuss in die Stirn gehandelt haben soll!

In die Stirn! Selbstmord mit einem Schuss in die Stirn?

Gab es so etwas schon mal?

Ja, gab es. Ist aber äußerst selten.

Ein Selbstversuch mit einer ähnlichen Waffe, rund 1 kg schwer, zeigte auf, dass es in der Tat höchst umständlich und geradezu mühselig ist, die Waffe in einem möglichst geraden Winkel an die Stirn zu setzen. Denn schließlich soll der Selbstmord auch erfolgreich verlaufen.

Auch die FOCUS-Redakteure hatten sich am 16. März 2009 diesen angeblichen Selbstmord anders vorgestellt: „Er wird die Waffe an die rechte Schläfe halten und ein letztes Mal abdrücken“ , dachten sie.

Bedenklich sind auch die Worte der staatsanwaltschaftlichen Sprecherin, dass es „Hinweise“ auf einen „absoluten Nahschuss in den Kopf“, das heißt Stirn, gebe.

Ein Hinweis ist aber kein Beweis. Die Obduktion wird es aber ganz genau ergeben haben.

Wollte man sich mit dieser schwammigen Formulierung eine Hintertür offen lassen?

Eine Obduktion dient der Beweisaufnahme. Hier von „Hinweisen“ zu sprechen ist geradezu lächerlich.

Was von dieser „Obduktion“ bzw. von der Obduktionsversion der Staatsanwaltschaft zu halten ist, haben wir an anderer Stelle erfahren: am 17. März soll es des weiteren bei Tim Kretschmer noch ein Kniesteckschuss rechts gewesen sein, am 4. April nur noch die Wade.

Sah für den Pathologen offenbar ähnlich aus.

Interessant ist es, dass dieser neue Befund bezüglich der Beinverletzungen entstanden ist, nachdem die Staatsanwaltschaft Stuttgart nach der Kniesteckschuss-Diagnose des „vorläufigen“ Obduktionsberichtes vom 17. März gleichzeitig die Obduktion für beendet erklärt und die Leiche des Tim Kretschmer freigegeben hatte.

Da muss es später bei der Änderung wohl eher lästiger Papierkram gewesen sein.

Die Analyse zeigt auf, dass auch an der Situation hinter dem Autohaus und in dem Bereich vor der Firma Alu-Ritter eine Menge nicht stimmt, wie es der Öffentlichkeit glauben gemacht werden soll.

Der angeschossene Junge hatte unglaublich viel Zeit, um orientierungslos herumzuirren. Viel Zeit, in welcher die vor Ort befindliche Polizei nichts tat. Viel Zeit, in welcher weitere Ereignisse einfach weggelassen wurden. Es ist auch nichts davon bekannt, dass der Junge per Megaphon aufgefordert wurde, seine Waffe wegzulegen und aufzugeben.

Stattdessen drängt sich der Eindruck auf, dass dieser junge Mann als vermeintlicher Täter erst zu einer bestimmten Stelle gelangen musste, um zu sterben. Zu einer Stelle, zu der er hätte normalerweise niemals gelangen können. Zu einer Stelle, an welcher sein Tod für die Öffentlichkeit dokumentiert werden konnte.

Oder wird es sich hierbei nur um einen dieser Zufälle gehandelt haben?

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Teil 2.5 - Wendlingen

Zuletzt geändert: 27/07/2022 14:40