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29. Prozesstag am Do., 10.02.2011 - Urteilsverkündung

Rechtlicher Hinweis:

Anonymisierungsangebot


Jede der in diesem Artikel mit vollem Namen genannte Person, die eine Anonymisierung wünscht, möge sich bitte auf dem kurzen Dienstweg mit den Seitenbetreibern in Verbindung setzen.

Es handelt sich hierbei um Mitschriften eines öffentlichen Prozesses und einem entsprechenden öffentlichen Interesse an der Sache an sich.
Mit dem Anonymisierungsangebot erkennen wir jedoch an, dass wir evtl. Persönlichkeitsrechte als vorrangig behandeln und uns auch keinesfalls die im Prozess benannten Abläufe und Zitate zu eigen machen, sondern gerade eben die mögliche Unzulänglichkeit der dort getroffenen Aussagen ausstellen wollen.


Die Urteilsverkündung


Der größte Saal des Landgerichts Stuttgart ist bis auf den letzten Platz besetzt, als der Vorsitzende Richter Skujat das Urteil gegen Jörg Kretschmer verkündet:

Dieser wird der fahrlässigen Tötung in 15 Fällen, der fahrlässigen Körperverletzung in 14 Fällen sowie der unerlaubten Überlassung einer erlaubnispflichtigen Schusswaffe sowie Munition an einen Nichtberechtigten, begangen jeweils durch Unterlassen, für schuldig befunden und zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 9 Monaten verurteilt, welche zur Bewährung ausgesetzt wird.

Die Bewährungszeit beträgt 3 Jahre und während dieser Zeit ist vom A. jeglicher Wohnsitzwechsel den Behörden mitzuteilen.

Wie von ihm gewohnt, nimmt der A. das Urteil zumindest äußerlich mit stoischer Ruhe und regungsloser Miene auf.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, so Skujat, sei die Kammer überzeugt davon, dass der A. nicht nur der fahrlässigen Überlassung einer erlaubnispflichtigen Schusswaffe und Munition, sondern auch der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung schuldig sei.
Zwar sei der A. nicht verantwortlich für den Verlauf und das monströse Ausmaß des Amoklaufes, müsse sich jedoch durch die vorschriftswidrige Aufbewahrung der Waffe und Munition eine Mitschuld zurechnen lassen.
Der Nebenkläger Günther Just jun. wird als Opfer einer fahrlässigen Körperverletzung anerkannt.
Nicht so Igor Wolf, da bei diesem die Prozessvoraussetzungen fehlten, weil er es versäumte, rechtzeitig seinen Strafantrag zu stellen (!).


Vorbemerkungen zur Urteilsbegründung


Zunächst fasst der Vorsitzende die Begründungen in 10 kurze Abschnitte:

1. Jeder, der nicht die erforderlichen Vorkehrungen zur vorschriftsmäßigen Aufbewahrung von Waffen und Munition treffe, müsse damit rechnen, dass diese mißbräuchlich verwendet werden können.
Es sei für den A. schon deshalb erkennbar und vermeidbar gewesen, weil dieser als enge Bezugsperson das Gefahrenpotential seines Sohnes gekannt habe.
Er sei deshalb strafrechtlich verantwortlich für den mißbräuchlichen Gebrauch.
Es müsse zwar nicht der konkrete Tatverlauf vom A. vorausgesehen worden sein, jedoch das Ergebnis des mißbräuchlichen Gebrauchs.

2. Ute und J.K. seien in Weinsberg über die Tötungsfantasien ihres Sohnes unterrichtet worden. Sie hätten von dessen Stimmungsschwankungen gewußt und dass er Haß auf die Menscheit habe und Menschen umbringen wolle, auch wenn er diese Aussage später wieder zurückgenommen habe. Es hätte demnach für den A. erkennbar sein müssen, dass sein Sohn unter massiven Selbstwertproblemen litt und somit einer besonderen Problem- und Risikogruppe angehöre.
Dennoch habe er ihn in den Schützenverein mitgenommen, obwohl es dringend geboten schien, Tim vom Schießsport abzuhalten und die ungesicherte Waffenaufbewahrung zu vermeiden.
An Hinweisen, die erhebliche Besorgnis hätten auslösen sollen, habe es nicht gefehlt, selbst wenn unmittelbar vor der Tat kein Amokrisiko feststellbar gewesen sei.

3. Die Verurteilung wegen „Unterlassens“ nach § 13 STGB wiege nicht weniger schwer als aktives Handeln und bedinge daher keine Strafmilderung.

4. Die Beweisaufnahme habe nicht ergeben, dass Tim den Amoklauf auch dann hätte begehen können, wenn Waffe und Munition ordnungsgemäß gesichert gewesen wären. Es läge völlig fern, dass Tim der Code zum Tresor bekannt war.
Die Kammer teile nicht die Ausführungen der 3. großen Jugendkammer, welche nur nach Aktengrundlage entstanden seien. Vielmehr habe die Beweisaufnahme eine völlig andere Grundlage geschaffen.
Der A. habe den Schlüssel zum Waffenschrank nicht sorgfältig aufbewahrt und somit Waffe und Munition nicht genügend getrennt. Es gäbe also hier kein rechtmäßiges Alternativverhalten.

5. Ein Mitverschulden des ZfP Weinsberg am Kausalverlauf sei nicht erkennbar, zumal die Klinik nicht über Tims Affinität zu Waffen usw. unterrichtet wurde.

6. Zeitpunkte und Begründungen im Ermittlungsverfahren seien strafprozessual nicht zu beanstanden.
Die Belehrungszeitpunkte hätten keine Grenzen überschritten.

7. Den 4 Hilfsbeweisanträgen habe nicht nachgegangen werden müssen, da keine der Bedingungen eingetreten sei.
Tim habe Gelegenheit gehabt, im Wohnhaus(!) 285 Patronen zu sammeln.

8. In Bezug auf den Zweifelsatz „in dubio pro reo“ sei darauf hinzuweisen, dass das Schweigen des Angeklagten nicht zu seinen Gunsten gewertet werden könne.

9. Es herrsche Ratlosigkeit über Tims Tatmotiv. Man könne hier nur spekulieren.
Die Irrfahrt mit Igor Wolf sei offenbar nur zufällig und ohne Tatplan erfolgt.
Tim passe jedoch ins Risikoprofil eines Amoktäters. Seine narzisstischen Allmachtsfantasien seien durch die Ego-Shooter-Spiele noch erhöht worden.

10. Das Urteil sei Tat und Schuld angemessen. Der A. habe sich im Ermittlungsverfahren kooperativ gezeigt, sein jetziges Schweigen sei ihm nicht nachteilig angerechnet worden.
Bei Strafhöhe und Bewährung habe man sich nicht von generalpräventiven Ansichten leiten lassen. Solche würden eine schwerere Strafe nur rechtfertigen, wenn tatsächlich eine Zunahme vergleichbarer Straftaten festgestellt worden wäre, was jedoch durch die hiesige Beweisaufnahme nicht belegt werden könne.
Die Bewährungsstrafe verstoße demnach nicht gegen das allgemeine Rechtsempfinden.


An die abweichende Eröffnungsentscheidung der 3. großen Jugendkammer sei die hiesige Kammer nicht gebunden. Sie sei dazu berufen, den genannten Sachverhalt eigenständig zu prüfen. Dies sei auch der Grund für den rechtlichen Hinweis an den A. am 1. Sitzungstag gewesen.

Es habe wohl Personen gegeben, die im Vorfeld große Erwartungen an das Ergebnis der Beweisaufnahme und das gewünschte Prozessverhalten des A. hatten. Dies seien jedoch unreale Erwartungen gewesen. Es sei weder die Aufgabe des Gerichts noch der geeignete Ort, ein gesellschaftliches Phänomen zu ergründen oder waffenrechtliche Vorschriften zu begründen. Hier könne immer nur durch strafrechtliche Sanktionen reagiert werden.

Strafrechtlich könne man nur in einem „engen Korsett“ handeln. Das Recht des A. zu Schweigen ist hinzunehmen und bedürfe keiner Beurteilung durch die Kammer.

Wegen der Ungeheuerlichkeit der Tat erschien beiden Seiten - Nebenkläger und Angeklagter - eine Annäherung schwer möglich. Die anfängliche Erklärung der Verteidiger deutete auf ein aktives Mitwirken des A. hin, jedoch sei dies später nur sehr wenig der Fall gewesen. Auch dies sei hinzunehmen. Bei den Nebenklägern habe sich zu Beginn Unverständnis und Enttäuschung gezeigt aufgrund des von den Verteidigern übereilt vorgetragenen Antrages nach Absehen von Strafe.

Als „befremdlich“ bezeichnet Richter Skujat den „ruppigen Umgang“ mit der Polizei und die akribische Suche der Verteidiger nach Ermittlungsfehlern. Dies sei eine „unangemessene Behandlung“.

(Was nun folgt ist wieder eine ausgedehnte Beweihräucherung des unfehlbaren Polizeiapparates, auf deren Wiedergabe der Verfasser an dieser Stelle erneut verzichtet).

Aufgrund der Entwicklungen, so der Richter weiter, habe der A. auch „nackte Angst“ um sein Leben gehabt, was durchaus einen ernsten Hintergrund gehabt habe. Auch hierdurch seien weitere Gräben aufgerissen worden, die nicht zur Verbesserung des Klimas beigetragen hätten.

Der A. habe durch sein Schweigen die Chance auf Verständigung nicht genutzt und auch seine Verteidigungsstrategie sei nicht unbedingt zwingend gewesen. Letztendlich sei eine Annäherung der Seiten gescheitert. Dies würde auch den zukünftigen Umgang miteinander prägen, insbesondere weil es vermutlich weitere zivilrechtliche Auseinandersetzungen geben werde.

Diese Hauptverhandlung habe voller Überraschungen und Wendungen gesteckt und es habe einige „beeindruckende Verhandlungstage“ gegeben. Die Beweisaufnahme sei schwierig und das Ergebnis zwiespältig gewesen.
In Teilbereichen habe der konkrete Ablauf fast erschöpfend aufgeklärt werden können. Leider hätten auch neutrale Zeugen, die - wie der Hausarzt Tims oder seine Mutter und Schwester - von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hätten, zur Verdunkelung beigetragen.

Nicht zu vergessen sei, dass der A. und seine Familie selbst von den Folgen der Tat hart getroffen wurden und den A. sowieso nur ein Bruchteil der Schuld seines Sohnes treffe.

Über dessen Erziehung oder Lebensführung kann die Kammer nicht befinden. Es sei hier auch kein Stellvertreterprozess gemacht worden.
Der A. sei strafprozessual fair behandelt worden. Es sei für ihn „kein Spießrutenlauf“ gewesen.
Auch die Nebenkläger hätten größtenteils zurückhaltend agiert. Insgesamt sei ein „faires und rechtsstaatliches Verfahren“ geführt worden.

Die Sicherungsmaßnahmen für den A. habe es „aus guten Gründen“ gegeben. Es habe ein großer Druck und Angst auf dem A. gelastet vor der Begegnung mit den Opferangehörigen und wohl auch umgekehrt.


Urteilsbegründung


Dies waren die Vorbemerkungen zur folgenden Urteilsbegründung:

In dieser werden zunächst die Personalien und Biografie des Angeklagten verlesen.

Nach dem Amoklauf sei dieser durch verschiedene Morddrohungen suizidgefährdet gewesen.

Seine Tochter Jasmin habe sich zeitweise mit einer falschen Legende im Ausland aufgehalten.

Es habe mehrfache Namenswechsel gegeben und die Familie sei seither 4 mal umgezogen.

Die genauen wirtschaftlichen Verhältnisse des A. und auch, ob dieser eine Haftpflichtversicherung besitze, seien ungeklärt.

Dann folgt die bekannte Biografie des Tim und die bereits zur Genüge berichteten Spekulationen, wie dieser zum Amoktäter werden konnte.
Er habe unter einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit Krankheitswert gelitten.

Ein zweites Magazin habe sich in der Schießtasche unter der Werkzeugbank befunden.
Der Verbleib der Patronen aus dem 1. Magazin sei ungeklärt (!).

Tim habe 121 Stück einer Billigmunition, 74 Stück Luger und 90 Stück der neuen Baureihe mit rotem Siegellack verwendet, welche von der Fa. Frankonia hergestellt worden seien und zu den Patronen gehörten, die Tim seinem Vater am 23.01.09 zum Geburtstag geschenkt hatte.

Bei dem Spiel „Counterstrike“ gebe es „Parallelen zur Tatausführung“: Tim habe dort niemals Polizisten, sondern nur die Rolle der Terroristen gespielt (!!!!). Auch bei diesem Spiel gehe es um „das Betreten von Räumen“ (!!!) und das Anbringen von Kopfschüssen.

Zusätzlich habe er Übungsmöglichkeiten mit der der Beretta ähnlichen Softairwaffe „Taurus“ gehabt.

Ab Herbst 2008 habe Tim angefangen, Munition zu sammeln. Der Gedanke zu einem konkreten Tatplan müsse sich zu diesem Zeitpunkt verdichtet haben. Schließlich habe er dem Vater die Munition geschenkt, um sie später selber gebrauchen zu können.

285 Patronen könne er nicht aus dem Tresor haben, denn der Rest aus dem Frankonia-Kauf sei vollständig gewesen.
Die unterschiedlichen Patronenarten sprächen eher für ein Einsammeln, zumal der A. erhebliche Mengen an Munition vorschriftswidrig gelagert und die Schießtasche mit dem 2. Magazin nicht vollständig geleert hatte.

Tatgeschehen


Zum Tatgeschehen führt der Vorsitzende weiter aus:

Tims Motiv liege im Dunkeln. Hierüber könne man nur spekulieren.

Er habe kurz vor 9 Uhr das elterliche Haus verlassen und habe gegen 09:30 Uhr die ARS betreten, wo er seinen Rucksack in der Toilette abgestellt habe.

Danach erschoss bzw. verletzte er Schüler/-innen und Lehrerinnen bzw. Referendarinnen bevor er auf seiner Flucht gegen 09:40 Uhr im Park der Psychiatrie Franz Just mit mehreren Schüssen tötete. Dort habe er auch das Jagdmesser verloren, welches sich ursprünglich in einer Schublade im elterlichen Werkzeugkeller befunden hatte.

Gegen 09:45 habe er dann Igor Wolf entführt. Diesem sei es gegen 12 Uhr gelungen in Wendlingen unter Entnahme des Zündschlüssels (!!!) zu fliehen. In dessen Fahrzeug habe man später eine Munitionspackung und die lederne Hülle des Jagdmessers gefunden.

Tim sei dann ins Industriegebiet geflüchtet und habe das Feuer auf eine Streife eröffnet. Der Beamte habe ihn daraufhin 2 mal an den Beinen getroffen. Als er festgenommen werden sollte, habe Tim jedoch wieder zur Waffe gegriffen. Dass dieser noch gehfähig war, würden die Blutspuren im Autohaus belegen.

Dort habe er gegen 12:15 Uhr von einem Verkäufer einen Fluchtwagen gefordert, der jedoch fliehen habe können.
Daraufhin habe Tim die im Kundengespräch befindlichen(!!!) Denis Puljic und Sigurt Wilk erschossen, bevor er 12 Schüsse durch die Glasfassade der Vorderseite des Gebäudes gefeuert habe.

Danach sei er durch den Hinterausgang zum Parkplatz der Fa. Ritter gelangt, von wo aus er auf eine Zivilstreife gefeuert und 2 Beamte schwer verletzt habe.

Danach habe er sein Magazin gewechselt, sich hingesetzt und durch einen aufgesetzten Kopfschuss selbst getötet.

Tim sei gegen 12:25 Uhr verstorben. Neben seiner Leiche sei eine weitere Munitionspackung gefunden worden.

Insgesamt 113 Schuss habe Tim abgegeben, davon 67 in Winnenden und 46 in Wendlingen. 172 Schuss habe er am Ende noch bei sich gehabt.

Der entstandene Sachschaden läge oberhalb von 200.000 Euro. Die Verantwortlichkeit des A. sei eindeutig.

Beweiswürdigung


Die Angaben des A. im Ermittlungsverfahren sowie gegenüber den Gutachtern Haller und Du Bois seien ausführlich geschildert worden.

Die polizeilichen Angaben zur Einschätzung seines Sohnes seien mit äußerster Vorsicht zu behandeln.
Auffällig sei, dass der A. angegeben hatte, Tim erst nach dem Abschluß der Gespräche in Weinsberg mit zum Schützenverein genommen zu haben. Tatsächlich sei dies aber bereits im Mai 2008 der Fall gewesen.

Die Chatprotokolle der Jasmin seien entscheidend (!!!!) für die Seelenlage des Tim zu diesem Zeitpunkt gewesen.

Die ersten Vernehmungen des A. als Zeugen seien verwertbar. Es bestünden keine Bedenken darüber, dass ein Ermittlungsverfahren gegen Tim fortgeführt wurde, da evtl. Mittäter unbekannt gewesen seien.
Der Beamte Stimpfle habe überhaupt nicht gewußt, dass beim A. eine Waffe gefehlt habe und Tim sei noch während der Vernehmung seines Vaters verstorben.
Es habe sich um eine schwer durchschaubare Situation gehandelt, die jedoch nicht rechtsmißbräuchlich gewesen sei.

Von einer Tatplanung durch Tim sei man überzeugt. Renommierte Sachverständige hätten seinen psychischen Zustand rückschauend diagnostizieren können.(!!!)

Die Zeugin Grätz hatte von massiven Kränkungen des Tim berichtet. Diese Zeugin sei jedoch wenig überzeugend gewesen und habe sich vermutlich nur wichtig machen wollen. Vor Gericht sei sie dann wegen der Wahrheitspflicht in große Not geraten.

Die 400 Tsd. (!!!) Chatprotokolle der Jasmin zeigten, dass schon ab Frühjahr 08 Sorgen um den psychischen Zustand von Tim bekannt gewesen seien.

Eine Abweichung gebe es auch in den polizeilichen Aussagen der Ute K., wonach Weinsberg nur als Trick wegen Tims Wehrpflicht eingeleitet worden sei. In späteren Vernehmungen sei dies nicht mehr aufrecht erhalten worden.

Von der Zeugin Loy habe man schließlich wahrheitsgemäß (!!!) erfahren, dass Tims Eltern dessen Haßgedanken - er habe „Haß auf die Welt“ und möchte manchmal „die ganze Menschheit umbringen“ - von den Therapeuten in Weinsberg mitgeteilt bekommen hätten.
Es gebe keinen Zweifel (!!!) am Wahrheitsgehalt der Aussage vom 11.11.2010, wonach Frau Loy diese Kenntnisse wenige Tage nach dem Amoklauf von der Familie mitgeteilt worden seien. Frau Loy habe gar keine Veranlassung gehabt, hier unwahre Aussagen zu tätigen.
Ein Mitverschulden der Klinik sei hier nicht feststellbar, denn diese sei vom A. nicht richtig unterrichtet worden.

Was das Versteck der Waffe betrifft, so fehle zwar der objektive Nachweis, dass diese sich tatsächlich dort befunden hatte, jedoch glaube man hier den Angaben des A.
Im SEK-Video habe der A. jedoch falsche Angaben gemacht: Er habe in einem ruhigen und sachlichen Ton gesagt, er würde die Waffe tagsüber immer einschließen und abends wieder herausholen. Dies habe sehr erstaunt, jedoch gebe es auch dafür keine objektiven Anhaltspunkte.
Ute K. hatte sich wiedersprüchlich zu diesem Thema geäußert.

Was den Zugang Tims zum Tresor betreffe, so gebe es auch hier keine greifbaren Anhaltspunkte für einen Zugriff.
Nach Angaben von Bekannten der Familie von Ende 07/08(!?) sei selbst die Familie nicht davon ausgegangen, dass Tim den Tresorcode kennen könne.
Tims Schulkameraden haben vor Gericht ihre früheren polizeilichen Aussagen, wonach Tim den Code gekannt oder den Tresor geöffnet habe, nicht bestätigen können. Diese hätten größtenteils unter einer frühzeitigen „Amnesie“ gelitten und es bestehe hier der Verdacht, dass sie sich in den Polizeivernehmungen nur „wichtig gemacht“ hätten und hier bei Gericht dann „kräftig zurückgerudert“ seien.

Was die objektive Spurenlage am Tresor angehe, so gebe es an den Ziffern 3, 4 und 5 Mischspuren an der Nachweisgrenze, welche Tim zuzuordnen sein KÖNNTEN. Zweifelsfrei sei dies jedoch nicht der Fall und es sei nicht auszuschließen, dass diese vom A. dorthin „übertragen“ wurden, da dieser vor der Tresoröffnung die Softairwaffe Tims der Marke „Taurus“ in seiner Hand hatte.
Das Tim den Code durch Zufall - ähnlich einem Lottogewinn - herausgefunden habe, sei rein spekulativ.
Zudem sei ein Zugang logisch nicht nachvollziehbar, denn sonst hätte Tim auch nur eine Sorte Munition mitgenommen.

In Tims Tresor sei dieser Zettel gefunden worden mit Worten darauf, deren Herkunft man lange gesucht hätte. Diese ließen verschiedene Interpretationen zu, zeigten jedoch Tims große seelische Probleme auf.

Nun wird vom Vorsitzenden nicht nur der Beamte Neumann beweihräuchert: Auch Igor Wolf hätte „einen glaubhaften Auftritt“ gehabt.

Dass Tim sich selbst getötet habe, hätten diverse Zeugen der Fa. Alu-Ritter gesehen und die Obduktion (!) ergeben. Daran bestünden keine Zweifel. (!!!!!????)

Die in Wendlingen auf den Täter treffenden Beamten seien „einfache Streifenbeamte“ gewesen (!!!), denen kein Verschulden anzulasten sei. Diese werden nun ebenfalls vom Vorsitzenden gelobt.

Gegen Ende seiner Ausführungen geht der Vorsitzende noch auf die „Zurechnungsproblematik“ ein:

Ein kurzfristiges Ablegen der Waffe sei nicht als „Überlassen“ zu werten. Hier jedoch sei dies dauerhaft praktiziert worden.
Es werden verschiedene Gesetzeskommentierungen verlesen.

Was das Sammeln der Munition durch Tim angehe, so sei der Tatzeitpunkt des A. als „natürliche Handlungseinheit“ ab Herbst 2008 anzusetzen. Es werden hierzu einige Rechtssprechungen verlesen.
Insgesamt würde die Tat des A. als „Unterlassen“ gewertet, welche eine Kausalität begründe.
Es wird hier die BGH-Entscheidung zum Einsturz der Eissporthalle in Bad Reichenhall angeführt.

Was die Zurechnung angehe, so sei zwar keine Entscheidung bekannt, wo eine derart weite Zurechnung vorgenommen wurde, jedoch sei Mord „vorhersehbar und vermeidbar“.
Es gehe hier um die Sorgfaltspflicht. Wer nicht darauf aufpasst, müsse damit rechnen, dass mit seiner Waffe eine schwere Straftat begangen werde.
Ein rechtmäßiges Alternativverhalten könne hier ebenfalls nicht angewendet werden, da weitere Pflichtwidrigkeiten vorlägen.

In die Strafzumessung seien sämtliche Gesichtspunkte pro und kontra eingeflossen. Der A. zeige Reue und habe selbst seinen Sohn verloren, dieser sei jedoch - im Gegensatz zu seinen Opfern - freiwillig aus dem Leben geschieden.
Der A. wird zudem mit zivilrechtlichen Folgen rechnen müssen, was als „mittelbares Strafübel“ berücksichtigt worden sei.
Eine Geldstrafe komme daher nicht in Betracht.
Besondere Umstände lägen ebenfalls vor: So sei der A. der Vater eines Massenmörders, was schon einer soziale Isolation, ähnlich eines Gefängnisses, gleichkäme. Außerdem gebe es eine angespannte Sicherheitslage.

Schlußworte


An dieser Stelle spricht der Vorsitzende eine Warnung in Richtung der Nebenklägerbank aus:

Wenn Jörg K. oder seiner Familie etwas passieren sollte, werde man „wissen, wo man sich hinzuwenden hat“.

Abschließend wünscht der Vorsitzende den Nebenklägern und dem Angeklagten „viel Kraft, um die Schicksalsschläge des 11.03.2009 zu ertragen“

Er bedankt sich bei der Polizei und den weiteren Prozessbeteiligten und gibt eine Rechtsmittelbelehrung ab:

Gegen diese Entscheidung könne Revision eingelegt werden.


Somit wäre auch der letzte Prozessbericht und zugleich die gesamte Prozessberichterstattung abgeschlossen.

An dieser Stelle nochmals vielen Dank an all diejenigen, die den Verfasser hierbei materiell durch Spenden sowie freie Kost und Logis und auch immateriell unterstützt haben.

Selbstverständlich kann diese Arbeit auch im Nachhinein noch durch Spenden honoriert werden.


Zuletzt geändert: 27/07/2022 14:36